Denise St. John: Ohne Fleiß kein Preis! Das Leiten von Aufstellungen will gelernt sein

Zeitschrift für Beratungs- & Managementwissenschaften
Ausgabe 2019/01
ISSN 2312–5853

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Denise St. John 1 *

Ohne Fleiß kein Preis!
Das Leiten von Aufstellungen will gelernt sein
 

Zusammenfassung

Sowohl beim Lernen als auch beim Lehren von Aufstellungsarbeit gilt es, eine fundierte berufliche Identität zu entwickeln, die auf einer theoriebezogenen und reflektierten Praxis gründet und in professionellem Handeln sichtbar wird. Diese Entwicklung benötigt Zeit und den ausdrücklichen Willen zum Lernen und Wachsen, verbunden mit dem dafür nötigen Einsatz. Dabei bezieht sich dieser Prozess zum einen auf eine fachliche und zum anderen auf eine persönliche Ebene. Die Lernenden können hier durch eine kompetente Begleitung maßgeblich profitieren.
Dieser Artikel stellt eine Zusammenfassung der Masterthesis Aufstellungsarbeit lernen und lehren (St. John 2018) dar.

Abstract

Both learning and teaching constellation work go hand in hand with the developing of a professional identity that is based on reflective practice, is embedded in a theoretical framework and becomes visible in competent action. This development takes time and the explicit will and commitment to learn and grow. It takes place both on a technical and a personal level and can be advanced by competent support.
This article is a summary of my master’s thesis (St. John 2018).

Keywords: Aufstellungsarbeit, Aufstellungsleitung, Professionalisierung, Kompetenzentwicklung, Lern- und Lehrprozess

 

1 Absolventin des Universitätsinstituts ARGE Bildungsmanagement/SFU

* Korrespondenz über diesen Artikel ist zu richten an Denise St. John, MSc. E-Mail: st.johnⒶgmx.at

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1. Einleitung

Die Zeiten der großen Begeisterungsstürme angesichts von Aufstellungsarbeit sind zwar ebenso vorüber wie jene der empörten Aufschreie und eindringlichen Warnungen – eine gewisse Polarität und eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Skepsis sind jedoch geblieben. Dessen ungeachtet hat sich die Aufstellungsarbeit in all ihrer Vielfalt in der Praxis von Therapie und Beratung mittlerweile gut etabliert, stellt sie doch eine effiziente und effektive Möglichkeit dar, der zunehmenden Komplexität des täglichen Lebens konstruktiv, kreativ und sinnstiftend zu begegnen.

Demgegenüber liegt eine wissenschaftlich fundierte Gegenstandstheorie allenfalls in Ansätzen vor. Auch wenn es bereits einige aussagekräftige Untersuchungen zu Fragestellungen rund um Aufstellungsarbeit gibt (u. a. Schlötter 2005), so erscheinen diese jedoch vorwiegend als unverbundene Einzelvorhaben und von einer wissenschaftlich fundierten und praxisrelevanten Didaktik ihres Fachgebietes ist die Aufstellungswelt in jedem Fall noch weit entfernt.

Erste Bestrebungen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fragen rund um die Aneignungs- und Vermittlungsprozesse von Aufstellungsarbeit liegen von Diana Drexler und Rebecca Hilzinger vor (Drexler & Hilzinger, 2015). Auch die in diesem Artikel vorgestellte Masterthesis Aufstellungsarbeit lernen und lehren (St. John, 2018) versteht sich als ein Beitrag zu einer praxisorientierten Forschung im Sinne einer fortgesetzten Diskussion und Erkundung eines Gebietes, dessen Bedeutung und Potential noch lange nicht umfassend erschlossen ist. Der Fokus der hier referierten empirischen Untersuchung mit explorativem Charakter lag auf den für eine professionelle und qualitätsvolle Aufstellungsleitung notwendigen Kompetenzerwerbsprozessen sowie auf den sich daraus ergebenden didaktischen Implikationen.

 

2. Professionalität in der Aufstellungsleitung, deren Aneignungen und Vermittlung

Zentrales Ziel der hier zusammengefassten qualitativen Studie war es, einen ersten Einblick in den Status quo zum Lernen und Lehren von Aufstellungsarbeit in der deutschsprachigen Aufstellungswelt zu erhalten und damit zur weiteren Professionalisierung der Aufstellungsarbeit beizutragen. Zu diesem Zweck wurden siebzehn leitfadengestützte ExpertInneninterviews mit acht lehrenden und neun nicht-lehrenden AufstellungsleiterInnen aus dem deutschsprachigem Raum durchgeführt. Dabei wurden unterschiedliche Aufstellungsschulen berücksichtigt, wie beispielsweise der systemisch-dialogische Aufstellungsansatz, die Systemischen Strukturaufstellungen oder die Psychodramatische Aufstellungsarbeit. Die in den leitfadengestützten Interviews erhobenen Daten wurden in Form eines thematischen Vergleichs ausgewertet und anschließend theoriebezogen interpretiert und damit in den bestehenden Fachdiskurs eingebunden.

 

2.1. Was es braucht, um Aufstellungen professionell leiten zu können

Eine qualitätsvolle Aufstellungsleitung ist mit den Worten von Kirsten Nazarkiewicz und Kerstin Kuschik „eine rekonstruierbare Entdeckungsarbeit, für die es benennbare Kompetenzen, beschreibbare Erfahrungen sowie klar kommunizierte Haltungen gibt“ (Nazarkiewicz & Kuschik 2015a, S. 47). Soweit die erste ihrer zwanzig Thesen zur Qualität in der Aufstellungsleitung in dem von den beiden Autorinnen herausgegebenen Handbuch Qualität in der Aufstellungsleitung (Nazarkiewicz & Kuschik 2015b). Eine weitere ihrer Thesen nimmt auf den Aspekt der Haltung Bezug und unterstreicht dabei, dass neben dem Herstellen von Transparenz hinsichtlich der Regeln und Vorgehensweisen ein wertschätzender Umgang mit allen Anwesenden ebenso unabdingbar ist wie das Arbeiten auf Augenhöhe mit allen Beteiligten (Nazarkiewicz u. Kuschik 2015a, S. 49). Dies stimmt mit den Ergebnissen der hier präsentierten Untersuchung überein. Diese lassen klar erkennen, dass die befragten AufstellerInnen eine offene, interessierte, wertschätzende und herzliche Grundhaltung ihren AdressatInnen gegenüber als eine der wichtigsten Voraussetzungen für Professionalität in der Aufstellungsleitung ansehen.

Eine große Bedeutung wird von den Befragten ebenso einer mit Lebenserfahrung einhergehenden Reife beigemessen. Dies ist eng verbunden mit der Bereitschaft zu einer fortgesetzten Auseinandersetzung mit sich selbst. Diesbezüglich erachten es die Befragten als besonders wichtig, emotional gefestigt zu sein und über eine hohe Empathiefähigkeit zu verfügen, bei dem gleichzeitigen Vermögen, sich nicht in die Themen der KlientInnen hineinziehen zu lassen. Nazarkiewicz und Kuschik sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass die „Grenze der Selbstreflexion und eigenen Entwicklung [...] auch die methodische Grenze beim Leiten von Aufstellungen“ (Nazarkiewicz u. Kuschik 2015a, S. 52) ist.

 

Tabelle 1. Die Ergebnisse im Überblick

DIE FORSCHUNGSERGEBNISSE IM ÜBERBLICK

Was braucht es, um Aufstellungen professionell leiten zu können?

Þ Eine bestimmte Haltung

-   Offenheit, Interesse und Neugier

-   Wertschätzung, Achtsamkeit u. eine gute Beziehung zu den KlientInnen aufbauen können

-   sich selbst zurücknehmen können

Þ Lebenserfahrung und die Bereitschaft zur fortwährenden Auseinandersetzung mit sich selbst

-   emotional gefestigt sein

Þ Einen einschlägigen fachlichen Hintergrund und eine entsprechende Ausbildung (Qualifikation)

Þ Aufstellungsrelevante Kompetenzen

-   Erkennen, worum es in der jeweiligen Aufstellung geht und sich vom System führen lassen

-   die Leitungsrolle einnehmen und beibehalten können

-   Gefahren erkennen und sie bewältigen können

-   über Handwerkszeug und Erfahrung verfügen

-   wissen, was man kann u. was man nicht kann

Wie wird Aufstellungsarbeit gelernt?

Þ Lernen durch Zusehen (Lernen am Modell)

Þ Lernen durch Erfahrungen als KlientIn bzw. RepräsentantIn

Þ Lernen durch Tun (Aufstellungen leiten)

Þ Lernen durch Beschäftigung mit der Theorie

Þ Lernen durch Verbindung von Theorie und Praxis (theoriebezogene, reflektierte Praxis)

Þ Weiterentwicklung durch intensive und fortwährende Auseinandersetzung

-   Üben und Austausch mit KollegInnen

-   Besuch weiterer AufstellerInnen bzw. Seminare

-   lange Beschäftigung mit Aufstellungsarbeit

-   intensive Beschäftigung mit Aufstellungsarbeit

Þ Eigenverantwortung des/der Lernenden

Wie wird Aufstellungsarbeit gelehrt?

Þ Ausbildungsziele und -inhalte

-   die zugrunde liegende Haltung vermitteln

-   Wahrnehmungstraining

-   weitere inhaltlich-thematische Aspekte

-   Abschluss der Weiterbildung

Þ Strukturelle Überlegungen (Rahmenbedingungen)

-   Ausbildungsdauer und Anzahl an Modulen

-   Gruppengröße

-   Auswahl der TeilnehmerInnen

-   Anzahl an Unterrichtenden

Þ Pädagogisch-didaktische Überlegungen

-   didaktisch-methodisches Konzept

-   Lehrgangsklima

-   Lehren durch Anregung zum Tun

-   mit kleinen Formaten beginnen

Þ Sonstige Aspekte

Note. In Anlehnung an St. John 2018, S. 79.

Zu den aufstellungsrelevanten Kompetenzen zählen allerlei Handwerkszeug wie Wahrnehmungsfähigkeit, sprachliches Gespür oder die Fähigkeit, zu erkennen, worum es in einer Aufstellung geht und sich beim Leiten einer Aufstellung vom System führen zu lassen. Auch der spezifischen Ausgestaltung der Leitungsrolle messen die Befragten eine große Bedeutung bei. Der Beitrag Hilzingers (2013) zu den Kompetenzanforderungen an SystemaufstellerInnen ist hier ein guter Ausgangspunkt für eine weiterführende Auseinandersetzung. Ein entsprechender fachlicher Hintergrund gepaart mit einer soliden Weiterbildung in Aufstellungsarbeit wird für die Professionalität ebenfalls als entscheidend erachtet. Weiters ist es aus einer ethischen Perspektive von großer Bedeutung, die eigenen Grenzen zu kennen und zu wissen, mit welchen Themen und in welchen Kontexten man auf Basis der erworbenen Qualifikation und Kompetenzen verantwortungsvoll arbeiten kann. Oder wie es in einem Interview ausgedrückt wurde: Zu wissen, was man kann und was man nicht kann.

Tabelle 2. Was es für eine professionelle Aufstellungsleitung braucht

Auf den Punkt gebracht:
Was es braucht, um Aufstellungen professionell leiten zu können

-   eine interessierte, wertschätzende und herzliche Grundhaltung

-   eine gewisse Reife aufgrund von Lebenserfahrung und die Bereitschaft zur fortgesetzten Auseinandersetzung mit sich selbst

-   aufstellungsrelevante Kompetenzen (Wahrnehmungsfähigkeit; erkennen, worum es in der Aufstellung geht; Gefahren erkennen und damit umgehen können; wissen, was man kann und was nicht, etc.)

-   einen einschlägigen fachlichen Hintergrund und eine fundierte Ausbildung (Qualifikation)


2.2. Wie Aufstellungsarbeit gelernt wird

Will man Aufstellungen professionell und qualitativ hochwertig leiten, führt kein Weg daran vorbei, sich das dafür nötige Wissen und Können gründlich und gewissenhaft anzueignen. Das benötigt Zeit und geschieht einerseits durch eine intensive Auseinandersetzung mit den spezifischen Anforderungen, die die Aufstellungsarbeit mit sich bringt, sowie andererseits durch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit sich selbst.

Für das Erlernen von Aufstellungsarbeit ist es von großer Bedeutung, dass die Lernenden so früh als möglich damit beginnen, Aufstellungen selbst anzuleiten. In den Interviews wird dabei oft vom besonderen Wert der kleinen Formate gesprochen, mit denen schon zu Beginn einer Weiterbildung erste Leitungserfahrungen gesammelt werden können. Auch in der Fachliteratur wird die Bedeutung des Anleitens von Aufstellungen für den Kompetenzentwicklungsprozess hervorgehoben (Drexler & Hilzinger 2015, S. 215). Drexler bezeichnet den Schritt zum eigenen Tun sogar als einen Quantensprung. Für sie ist das eigene Tun verbunden „mit der Selbstexposition in konkreten Situationen, mit Unerwartetem, Widerständen, Irrtum, dem Erleiden von Hilfslosigkeit und Enttäuschung – unabdingbare Erfahrungen für die Entwicklung eigener Erfahrenheit“ (ebd., S. 221f.).

Um das Handwerk und die Kunst der Aufstellungsleitung zu erlernen, erachten es die Interviewten ebenfalls als wichtig, die praktischen Erfahrungen zu reflektieren und dabei einen Theoriebezug herzustellen. Dieser letzte Aspekt wird besonders von den nicht-lehrenden Aufstellenden betont, die zum Teil anmerken, dass die Theorie zur Aufstellungsarbeit in den Weiterbildungen nicht immer genügend Platz bekommt.

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung stimmen zu einem großen Teil mit der Anschauung überein, dass „komplexe, nicht-routinehafte praktische Tätigkeit einer begleitenden Reflexion bedarf“ (Altrichter 2008, S. 269). Ferdinand Buer sieht hier vor allem die PraktikerInnen in der Pflicht, sich das nötige Wissen für gute Praxiskonzepte anzueignen und fordert, dass diese „selbstständig und eigenverantwortlich festlegen, auf welche Weise immer wieder neu Verbesserungen der Praxis bestimmt werden können, Verbesserungen, die ein Wachstum qualitativer Erfahrungen für möglichst viele gewährleisten“ (Buer 2008, S. 236). Eine interessante Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Theorie und Praxis bzw. Wissen und Können auf der Grundlage des Konzepts des impliziten Wissens, auch als tacit knowing approach bekannt, findet sich bei Georg Hans Neuweg (2002). Darauf bezieht sich im Übrigen die Arbeit von Hilzinger (2013).

Etwas salopp formuliert lässt sich zusammenfassend sagen, dass es auf dem Weg zu einer guten Aufstellungsleitung hauptsächlich darum geht, zu tun und daraus zu lernen, und das immer und immer wieder. Anders ausgedrückt bedeutet das, Aufstellungen zu leiten und sich in einer Weise mit den dabei gemachten Erfahrungen auseinanderzusetzen, die das professionelle Wachstum fördert und das über einen langen Zeitraum hinweg, da es sich dabei um einen Lern- und Reifungsprozess handelt, der Zeit benötigt. Hier verdichtet sich ein zentraler Aspekt der Entwicklung professioneller Kompetenz in komplexen Tätigkeitsbereichen, wie beispielsweise Aufstellungsarbeit: Ein hohes Maß an Professionalität, das in qualitativ hochwertiger Performanz sichtbar wird, kann nur durch eine lange und intensive Beschäftigung mit den Anforderungen des jeweiligen Arbeitsfeldes erreicht werden.

Um professionell, qualitativ hochwertig und letztendlich für die AdressatInnen hilfreich handeln zu können, bedarf es also einer Haltung, die sich durch den Wunsch und die Bereitschaft auszeichnet, sich lernend weiter zu entwickeln und die mit dem Willen einhergeht, den dafür nötigen Einsatz zu leisten. Das hat große Ähnlichkeit damit, was Marlene Henrich und Marc Weinhardt in dem Beitrag Wissensbildung in der Systemischen Therapie und Beratung über deliberate practice sagen, wenn sie davon als einem Modus leidenschaftlichen, fehlertoleranten Lernens sprechen, „also dem auf Dauer gestellten unbedingten Willen zum Lernen in einer engen Rückkoppelungsschleife aus Wissenserwerb, Praxis und Reflexion“ (Henrich & Weinhardt 2018, S. 120). Das Konzept der deliberate practice kommt aus der Expertiseforschung (u. a. Ericsson 2008) und hebt, neben anderen bestimmenden Faktoren, die Bedeutung mentaler Repräsentationen für den Erwerb herausragender Leistungen hervor.

Based on recent advances in the scientific analysis of reproducibly superior (expert) performance, we know that superior performance does not automatically develop from extensive experience, general education, and domain-related knowledge. Superior performance requires the acquisition of complex integrated systems of representations for the execution, monitoring, planning, and analyses of performance. (Ericsson 2008, S. 993)

In Master Therapists – Exploring Expertise in Therapy and Counseling (Skovholt & Jennings 2004) kommen Thomas M. Skovholt, Len Jennings und Mary Mullenbach basierend auf vier Studien mit zehn master therapists zu ähnlichen Ergebnissen. Sie arbeiten dabei unter anderem heraus, dass Meisterschaft zu erlangen ein langer, harter und unebener Entwicklungsprozess ist, sehen professionelle Entwicklung als Wachstum in Richtung professioneller Individuation und nennen drei essentielle Zutaten für dieses Wachstum, nämlich den Willen zu wachsen, umfangreiche Erfahrung auf dem jeweiligen Gebiet und Reflexionsvermögen (Skovholt et al. 2004, S. 141f.).

In Bezug auf Qualität und Professionalität erweisen sich sowohl in dieser Untersuchung als auch in der einschlägigen Theorie ein kollegialer Austausch und die Einbindung in eine professionelle Gemeinschaft als bedeutsame Faktoren. Eng damit im Zusammenhang steht die Bildung und Ausgestaltung professioneller Leitvorstellungen und einer damit einhergehenden Identitätsentwicklung. Die „’kritisch-freundliche’ Zusammenarbeit in kollegialen Gruppen“ (Altrichter 2008, S. 278) kann wichtige kompetenzfördernde Entwicklungsprozesse und den Aufbau einer professionellen Identität unterstützen. Auch für eine gute Aufstellungsleitung braucht es „den fachlichen, inspirierenden, aber auch selbstkritischen Austausch zwischen verschiedenen Gruppierungen, methodischen Herangehensweisen und Fraktionen“, so Nazarkiewicz und Kuschik (2015a, S. 53).

Tabelle 3 Wie wird Aufstellungsleitung gelernt?

Auf den Punkt gebracht: Wie Aufstellungsleitung gelernt wird

-   Aufstellungen leiten und sich in einer Weise mit den dabei gemachten Erfahrungen auseinandersetzen, die das professionelle Wachstum fördert und das konstant über einen langen Zeitraum hinweg, da es sich dabei um einen Prozess handelt, der Zeit benötigt

Experience alone is not enough. The experience has to be used to grow. (Skovholt et al. 2004, S. 142)

-   durch kollegialen Austausch und Einbindung in eine professionelle Gemeinschaft

 

2.3. Wie Aufstellungsarbeit gelehrt wird

Es ist mittlerweile hinlänglich bekannt, dass das Aneignungshandeln im Lernenden stattfindet und von außen nicht direkt bestimmbar ist. Lernende lernen also nicht unbedingt das, was Lehrende lehren. Dennoch werden „Personen, die den Lernprozess anregen und begleiten, keineswegs entbehrlich“ (Siebert 2005, S. 12), denn gerade bei komplexen Lernherausforderungen und anspruchsvollen Lernleistungen ist eine entsprechende didaktische Rahmungen und begleitende Unterstützung wichtig.

Damit stellt sich die Frage, welche Rolle Lehrende hinsichtlich der Lernprozesse der Lernenden einnehmen und was professionelles pädagogisches Handeln allgemein kennzeichnet und was das konkret für die Vermittlung von Aufstellungsarbeit bedeutet. Kompetente Lehre muss immer adressaten-, inhalts- und kontextspezifisch differenziert werden (Nuissl 2006, S. 217) und Lehrenden kommt in jedem Fall die bedeutsame Aufgabe zu, geeignete Möglichkeitsräume für die anvisierten Lern- und Aneignungsprozesse anzubieten und zu arrangieren (Rhein 2013, S. 20).

Neben ihrer inhaltlich-fachlichen Expertise in Aufstellungsarbeit, welche im Idealfall solide in einem übergeordneten Format wie Psychotherapie, Beratung oder Supervision eingebunden ist, sollten Lehrende über grundlegende allgemein-pädagogische ebenso wie spezielle didaktisch-methodische Kompetenzen verfügen, welche sie bei der Planung, der Durchführung und der Analyse ihres Unterrichts zum Einsatz bringen.

In der Fachliteratur spricht Drexler Herausforderungen an, vor die sich Lehrende von Aufstellungsarbeit gestellt sehen und präsentiert ein pädagogisches Verständnis von der Ausbildungsleitung als Modell:

Es ist eine Herausforderung für begleitende Lehrpersonen, einerseits genug Sicherheit, Anfängerregeln und Ermutigung anzubieten und die Lernenden gleichzeitig an eine Haltung heranzuführen, das alles, was wie eine Regel aussieht, nie immer gilt [...]. (Drexler & Hilzinger 2015, S. 221)

Die Lehrerin lebt das Paradox von Wissen und Nicht-Wissen, von Expertin sein und die Antwort nicht kennen, vom Umgang mit unkalkulierbaren Situationen vor. Dies ist für sie selbst und für die Lernenden die vielleicht größte Herausforderung – und das größte Geschenk, wenn es gelingt. (Drexler & Hilzinger 2015, S. 222)

Bei dem in Weiterbildungen in Aufstellungsarbeit vorherrschenden didaktisch-methodischen Konzept handelt es sich im Prinzip um eine Kombination aus Theorieinput, Demonstration, Üben und Reflexion. Einen zentralen Platz nimmt dabei das praktische Tun ein. Aus den Untersuchungsergebnissen lässt sich der Schluss ziehen, dass Lehrende den Lernenden möglichst früh und auch möglichst oft die Gelegenheit bieten bzw. sie dazu anregen sollen, Aufstellungen selbst zu leiten. Dabei finden es sowohl Lernende wie Lehrende sinnvoll, mit Teilschritten in Form von sogenannten kleinen Formaten zu beginnen. Der Begleitung der Lernenden durch die Lehrenden kommt beim Üben eine besondere Bedeutung zu. Laut Drexler erfolgt das eigene Tun

[...] am besten im Schutz der Ausbildungsgruppe und mit einem Anleiter, der selbst zwischen Tun und Lassen pendeln kann und immer wieder zu ermutigen und zu unterstützen weiß – denn von der intuitiven Neugier zur vermeidenden Angst von Fehlern ist es gerade bei Lernenden nur ein kleiner Schritt. (Drexler & Hilzinger 2015, S. 222)

Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass abgesehen vom Absolvieren einer Weiterbildung in Aufstellungsarbeit, dem weiterführenden Lernen durch die Teilnahme an Übungs- und Intervisionsgruppen ebenso wie durch Hospitationen und Supervision eine große Bedeutung beigemessen wird. Dies wird durch einen Blick in die einschlägige Fachliteratur bestätigt (siehe Drexler & Hilzinger 2015; Nazarkiewicz & Kuschik 2015a) und auch ein Blick zur Psychotherapieforschung bekräftigt dies. Besonders wenn es darum geht, Komplexität und daraus resultierende Unsicherheiten anzunehmen und diese zu reflektieren, wird der Unterstützung durch Supervision ein hoher Stellenwert beigemessen:

This emphasis on facing complexity and working through it through reflection is central to the Uncertainty-Certainty Principle of Professional Development (Rønnestad & Skovholt, 1997).

Here the supervisor’s orientation is to always present a searching stance through the uncertainty while also presenting the certainty of specific techniques and ideas to novices. (Jennings & Skovholt 2004, S. 49)

Eine Kritik der Lernenden an den von ihnen besuchten Weiterbildungen in Aufstellungsarbeit bzw. eine Schwäche, die sie in diesen Weiterbildungen sehen, ist, dass die theoretische Fundierung oft nicht ausreichend gegeben ist und sie sich eine bessere Verbindung von Theorie und Praxis wünschen. Ein stärker theoretisch begründetes und dadurch besser nachvollziehbares Vorgehen würde den Lernenden speziell in der Anfangsphase mehr Handlungssicherheit ermöglichen. Einen großen Nachholbedarf sieht hier auch Drexler und spricht sich für eine stärkere Verschränkung von Theorie und Praxis aus: „Wenn sich dieser Ansatz weiter professionalisieren möchte, sollte die Theorie der Praxis folgen, und wir sollten das bisherige Können theoretisch untermauern und sichern“ (Drexler & Hilzinger 2015, S. 220). Dies würde auch zur Entmystifizierung von Aufstellungsarbeit beitragen.

Tabelle 4. Wie wird Aufstellungsleitung gelehrt?

Auf den Punkt gebracht: Wie Aufstellungsleitung gelehrt wird

-    zum praktischen Tun anregen und dieses unterstützend begleiten

-    Vermittlung von Theorie und Praxis; genauer gesagt durch eine theoriebasierte und reflektierte Praxis; Bausteine: Theorieinput, Demonstration, Üben, Reflexion

-    Supervision anbieten

-    auf der Basis eines professionellen fachlichen und pädagogischen Selbstverständnisses

3. Fazit

Alle, die schon einmal eine Aufstellung geleitet haben wissen, dass dies eine äußerst anspruchsvolle Handlung darstellt. Um in der Rolle der Aufstellungsleitung beständig wirksam agieren zu können, bedarf es zahlreicher Kompetenzen, die es in einem umfassenden und ebenso zeit- wie arbeitsintensiven Lernprozess unter professioneller Begleitung zu erwerben gilt.

Die Ergebnisse der hier zusammengefassten Untersuchung zeigen, dass hinsichtlich einer qualitätsvollen Aufstellungsleitung speziell Haltungsaspekten eine wesentliche Bedeutung beigemessen wird. Des Weiteren geht es sowohl beim Lernen als auch beim Lehren von Aufstellungsarbeit letztlich um eine berufliche Identitätsentwicklung die auf einer theoriebezogenen und reflektierten Praxis gründet und sich in professionellem Handeln (Performanz) zeigt. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der neben Zeit auch den ausdrücklichen Willen zum Lernen und Wachsen benötigt – fachlich wie persönlich – und durch eine kompetente Begleitung maßgeblich positiv beeinflusst werden kann.

Für die weitere Entwicklung der Aufstellungsarbeit könnte es sich als lohnend erweisen, den allgemein im wissenschaftlichen Diskurs bislang erst wenig beachteten Bereichen der Weiterbildungsdidaktik und der Weiterbildungswirkungsforschung zukünftig vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei wäre es unter anderem von Interesse, sich eingehender damit zu beschäftigen, wie der so wichtige Faktor Haltung im Rahmen von Weiterbildungen fundiert gelehrt werden kann. Auch Untersuchungen zum pädagogischen Selbstverständnis der Lehrenden und inwieweit dieses auf die Lernprozesse der TeilnehmerInnen von Weiterbildungen Einfluss nimmt, wären – neben zahlreichen anderen Aspekten – gewiss sehr aufschlussreich. Nicht zuletzt könnte eine vertiefende systematische Untersuchung einzelner hier vorgelegter Kriterien rund um das Lernen und Lehren von Aufstellungsarbeit wichtige Impulse für eine differenzierte Didaktik der Aufstellungsarbeit bringen.

Akteurinnen und Akteure der Aufstellungscommunity, denen an einer weiteren Professionalisierung der Aufstellungsarbeit gelegen ist, tun in jedem Fall gut daran, sich an einem – durchaus auch kritischen – Austausch in Bezug auf ihr Fachgebiet zu beteiligen.

Literatur

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Drexler, D. & Hilzinger, R. (2015). Aufstellen lernen und lehren. In K. Nazarkiewicz & K. Kuschik (Hrsg.), Handbuch Qualität in der Aufstellungsleitung (202-225). Göttingen:                 Vandenhoeck & Ruprecht.

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St. John, D. (2018). Aufstellungsarbeit lernen und lehren. Unveröffentlichte Masterarbeit. Wien: Fakultät für Psychologie der Sigmund Freud Privat Universität, Institut für Beratungs- und Managementwissenschaften (ARGE Bildungsmanagement).

Eingegangen: XX. Monat 20XX
Peer Review:
XX. Monat 20XX
Angenommen:
XX. Monat 20XX

 

Autorin

Denise St. John, MSc, BEd, Dipl.-Päd.; Lehrerin an einer Neuen Mittelschule (NMS) in Wien; Fortbildungskoordinatorin für die NMS am Institut für Allgemeinbildung in der Sekundarstufe an der Pädagogischen Hochschule Wien; Lebens- und Sozialberaterin in freier Praxis; zertifizierte Aufstellungsleiterin; Absolventin des Universitätsinstituts ARGE Bildungsmanagement/SFU.

Diesen Artikel zitieren als: St. John, D. (2019). Ohne Fleiß kein Preis! Das Leiten von Aufstellungen will gelernt sein. Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften, 5, YZZ.

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