Hans-Jürgen Gaugl -  Braucht unsere Demokratie Mediation?

Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften
Ausgabe 2015/01
ISSN 2312–5853

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Hans-Jürgen Gaugl 1,◊

Braucht unsere Demokratie Mediation?

Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund kritischer Stimmen zur Legitimität der Politik in der aktuell gelebten Demokratie und zunehmender Politikverdrossenheit der Menschen untersucht der Autor in seiner auf seiner Masterthesis aufbauenden Neuerscheinung „Politische Machtspiele – Schlachtfeld oder Chance“ (Gaugl, 2015) – nach einem Anriss der in der Literatur beschriebenen Wechselwirkungen zwischen Politik und Gesellschaft sowie der Bedeutung von Konflikten in der Demokratie – die Qualität der Interaktionsstrukturen im Nationalrat als oberstes Gesetzgebungsorgan Österreichs aus der Perspektive des Konfliktmanagements. Dabei analysiert er, ausgehend von einer Erfassung des vorherrschenden räumlichen und prozeduralen Settings und einer Feldexploration anlässlich einer exemplarisch ausgewählten Sondersitzung des Nationalrates zu einem auch von der Gesellschaft als bedeutsam eingestuften Thema, ob und in welchen Dimensionen Konflikte vorherrschen. Die Beobachtungen dienen dabei neben einer Analyse des räumlichen und prozeduralen Settings einer Nationalratssitzung als Grundlage für eine eingehendere Untersuchung im Rahmen einer quantitativen Befragung der Mitglieder des Nationalrates zu deren Selbstverständnis.
Im Wesentlichen bestätigen die Ergebnisse, dass die von der Politik rezipierten Konflikte in der Gesellschaft in einer Nationalratssitzung sichtbar werden, die dazu geführten Debatten allerdings von den Abgeordneten eher als Bühne für die öffentliche Darstellung und Erklärung ihrer Standpunkte denn zur Aushandlung konsensualer Lösungen genutzt werden. Darin erblickt der Autor ein Anwendungsfeld für Mediation mit direkter Auswirkung auf eine mögliche Stärkung von Demokratie und beschreibt in seiner Publikation erste mögliche Schritte in Richtung einer gesteigerten Transparenz und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger.
Im vorliegenden Aufsatz umreißt der Autor kurz die wesentlichen Schritte seiner Annäherung an das Thema und beleuchtet ausgewählte zentrale Aussagen seiner Forschungsarbeit.

Abstract

Against the background of critical voices regarding politics legitimacy in the current democracy and based on his Master thesis “Political power games: Battle field or possibility” (Gaugl, 2015) and with reference to the interaction between politics and society as well as to the meaning of conflicts in democracy, the author describes the quality of interactional structure of the National Council – the highest legislative organ in Austria – from the perspective of conflict management. After a description of the existing spatial and procedural settings and a field exploration regarding an exemplary special session of the National Council having as object a socially relevant topic, he describes if and to which extent conflicts prevail. The results confirm that societal conflicts become visible in a special session of the National Council, though the resulting debate seems to be used by the deputies as stage for the public presentation and explanation of their perspectives, and not for the negotiation of consensual solutions. Based on this, the author describes an application field for mediation with the aim of empowering democracy, and outlines the first steps for increasing transparency and participation of citizens.

Keywords: Bedürfnisorientierung, Demokratie, Eigenverantwortung, Konflikt, Konsens, Mediation, Partizipation, Politik

 

1 Institut ARGE Bildungsmanagement am Department Psychologie der Sigmund Freud Privatuniversität

Korrespondenz über diesen Artikel ist zu richten an Mag. Hans-Jürgen Gaugl, MSc, ARGE Bildungsmanagement, Friedstraße 23, 1210 Wien. E-Mail: gauglⒶlassunsreden.at

 

1. Ausgangslage

Auch in Österreich besagt die Bundesverfassung, dass das Recht vom Volk ausgehe. Gleichzeitig ist aber zu beobachten, dass die Wahlbeteiligung dramatisch zurückgeht: Bereits mehr als jede vierte wahlberechtigte Person verzichtet darauf, der legislativen und exekutiven Kraft der österreichischen Demokratie ihre Legitimation kraft Stimmabgabe zu erteilen. Dieser Trend geht einher mit einem sinkenden Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker, bedeutet aber keinesfalls, dass die Menschen vor den unverändert bestehenden Anforderungen an Politik hinsichtlich der Ausgestaltung und Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Rahmens die Augen verschließen: Politik ist zunehmend als Streitthema in einander scheinbar ausschließenden Argumentationslinien in Medien und an Stammtischen wahrzunehmen. Beobachtungen, welche an Symptome des von Glasl (2011, S. 65, 78, 80ff) beschriebenen Typus eines kalten Konfliktes oder an das von Schwarz (2010, S. 279ff) beschriebene Konfliktlösungsmuster der Flucht samt der inneliegenden Tendenz zu Aggression und Destruktivismus nach innen und außen erinnern. Naheliegend aus Sicht des Konfliktmanagements sozialer Systeme ist daher die Frage: Braucht unsere Demokratie Mediation?

2. Anhaltspunkte aus der Fachliteratur

In einer auf den in der Fachliteratur bereits dargelegten Erkenntnissen aufbauenden Annäherung an die Fragestellung, ob unsere Demokratie Mediation braucht, kommen die eine Bejahung derselben indizierenden Anhaltspunkte aus dem Blickwinkel der soziologischen Entwicklung des Menschen in seinem Selbstverständnis am deutlichsten zum Ausdruck: Das Verständnis des Menschen zu seinem Selbstwert hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Standen die längste Zeit Brauchtum, Sitte und Religion stark im Vordergrund und konstruierten sie damit im sozialen Gefüge traditionale Funktionsweisen, in welchen der tiefere Sinn des individuellen eigenen Seins hinter das Erfordernis wertrationalen Handelns zurückgestellt wurde, so bekannten sich Mann und Frau mit Eintritt in die Moderne zum Bestehen eigener höchstpersönlicher Bedürfnisse, welche es in Wechselbezug zu anderen Individuen zu bringen galt und gilt. Durch diesen Prozess der Individualisierung entwickelt sich die Gesellschaft also zunehmend inhomogener, woraus Konflikte in den verschiedenen Dimensionen erwachsen. Diese Konflikte stellen die Energie für das Wachstum von Individuum, Gesellschaft und Politik gleichermaßen zur Verfügung, bedeuten somit den Antrieb für ständige Wachstumschancen. Um diese zu heben und nicht das gleichermaßen bestehende Risiko der Moderne, diese Energie für eine Selbstvernichtung einzusetzen, heraufzubeschwören, bedarf es also eines von wechselwirkender Legitimierung durch Wertschätzung getragenen Commitments, welches durch Demokratie zum Ausdruck gebracht wird. Diese Regierungsform basiert schließlich entsprechend ihrer Wortbedeutung auf dem Grundgedanken, dass die Herrschaft von der Gemeinschaft ausgeht. Dass Mediation hier hilfreich sein kann, erschließt sich aus der diese Anforderungen berücksichtigenden Gemeinsamkeit in Zielsetzung und Haltung.

3. Empirischer Zugang

Nach diesem Anriss eines analytischen Zuganges zur Frage, ob unsere Demokratie Mediation braucht, wird ein kurzer Blick auf die in der Empirie beobachtbaren Sachverhalte geworfen. Dabei wird beispielhaft der österreichische Nationalrat als Ort der obersten nationalen Gesetzgebungskraft der demokratischen Strukturen des Landes aus vier verschiedenen Perspektiven betrachtet:

  1. Beim räumlichen Setting, welchem eine starke Bedeutung für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse zugeschrieben werden darf, fällt dabei im Ergebnis auf, dass Raum und Sitzordnung des Plenarsaales eine sehr klare Strukturierung erlauben und solchermaßen Sicherheit zu geben vermögen. Zugleich kann es allerdings durch die Formgebung und das starre Korsett nicht unbedingt als dialog- und diskursfördernd charakterisiert werden. Das in Opposition zu den Abgeordnetenbänken stehende Rednerpult allein lädt bereits dazu ein, dass die Einzelpersonen, welchen das Wort erteilt wird, lediglich Standpunkte vortragen, was eine Verhärtung unterschiedlicher Positionen eher erleichtert und damit der konsensorientierten Auseinandersetzung mit den zu verhandelnden Interessen einen Bärendienst erweist. Der Plenarsaal lädt also zur Repräsentation von Standpunkten und bereits im Vorfeld allenfalls erzielten Verhandlungsergebnissen ein, nicht jedoch zum offenen Dialog. Dies wirkt begünstigend in Richtung einer Lagerbildung auch über die Grenzen des Gebäudes hinweg bis in die Gesellschaft hinein und bewirkt damit auch eine Verfestigung von Standpunkten.
  2. Auch die Geschäftsordnung des Nationalrates als prozeduraler Rahmen der inhaltlichen und zeitlichen Steuerung der parlamentarischen Aushandlung erscheint hinsichtlich des Ablaufes einer öffentlich beobachtbaren Plenarsitzung wenig hilfreich für einen auf Konsensfindung ausgerichteten Diskurs auf Basis der in der Gesellschaft bestehenden Interessen zu einem Thema. Sitzungsräume, Ausschüsse und bezeichnender Weise ein anderer „neutraler Ort“ werden bevorzugt, wenn es um wirkliche Verhandlungen geht, was aber auch einen zum Teil ausdrücklich angesprochenen Ausschluss der Öffentlichkeit bedingt. Dabei wird allerdings ein Filter gesetzt, welcher die für das friedliche Funktionieren der Gesellschaft so bedeutsame Arbeit der Abgeordneten auf den Dissens fokussiert: Während der Weg zu den zahlreichen positiven Verhandlungsergebnissen nicht öffentlich ist, werden zu kontroversiell bleibenden Themen die verhärteten Fronten präsentiert und ausführlich dargestellt.
  3. Die Beobachtung des Verhaltens der zentralen Akteurinnen und Akteure während einer Sitzung des Nationalrates zeigt ein Bild, welches diese durch das Setting vorgezeichneten Verläufe widerspiegelt. Insbesondere wird eine Nationalratssitzung als Möglichkeit genutzt, die Richtigkeit der von der eigenen Partei bezogenen Standpunkte zu erklären und dabei zu demonstrieren, wie man kämpft und verteidigt – weniger jedoch, wie man einlenkt und auf kreative Neulösungen kommt, getragen von der Einsicht, dass auch Interessen der Minorität Eingang in einen friedensichernden Rahmen der Gesellschaft finden müssen.
  4. Das Selbstbild der Abgeordneten wurde in einer vom Autor durchgeführten Vollbefragung derselben mittels Fragebogen erhoben. Es bildet eine Bestätigung der aus einer Analyse der Literatur, den Beobachtungen des Ablaufs einer Nationalratssitzung sowie der Interpretation von Geschäftsordnung und den räumlichen Gegebenheiten gebildeten Hypothesen:
    • Abgeordnete sind nur Teilhaberinnen und Teilhaber der im Verlauf einer Nationalratssitzung beobachtbaren Konflikte. Dabei besteht die ständige Gefahr im Kontext symbolischer Demokratie, dass die im Rahmen der repräsentativen Funktion von den Abgeordneten aus der Gesellschaft übernommenen Konflikte an diese rückübertragen werden hinsichtlich der Verantwortung für unberücksichtigt gebliebene Interessen, welche mangels öffentlicher Bemühungen um einen Konsens ausführlich mit Standpunkten und eskalationstauglichen Elementen angereichert dargestellt wurden.
    • Die Rahmenbedingungen für eine Nationalratssitzung (räumliches Setting, Geschäftsordnung) werden eher als diskurshinderlich empfunden und erschweren eine Konsensualisierung.
    • Wortmeldungen in einer als symbolischen Formalakt betrachteten Nationalratssitzung dienen den Abgeordneten eher zur eigenen Darstellung und nicht der Konsensualisierung zu themenbezogenen Interessen der Gesellschaft. Die Überzeugung der Gesellschaft von aus dem jeweiligen Parteiprogramm abgeleiteten Standpunkten steht somit im Vordergrund und drängt dabei die eigentliche Intention von Demokratie, die Interessen der Gesellschaft als Ausgangspunkt der Verhandlungen zu sehen, zurück.

4. Ausblick

„Das Ziel eines Konflikts oder einer Auseinandersetzung soll nicht der Sieg, sondern der Fortschritt sein“ hat uns bereits Joseph Joubert ins Stammbuch geschrieben. Mediation hilft, genau diese Haltung in der Aushandlung scheinbar divergierender Interessen dazu einzusetzen, allseitig als Gewinn betrachtbare Lösungen zu finden.

Selbstverständlich bleibt es trotz der Deutlichkeit der Ergebnisse der angestellten Studie kritisch zu sehen, ob die Hereinnahme von Mediation in unsere demokratischen Strukturen in der Tat den erhofften Mehrwert bringen werde. Erfahrungen aus der Geschichte, etwa am Beispiel der Beitrages von Mediation zum Westfälischen Frieden in Form des Durchbrechens davor selbstverständlicher zeremonieller Abläufe, wie auch Erkenntnisse aus dem alltäglichen Geschehen in den Räumlichkeiten der Mediatorinnen und Mediatoren der Gegenwart lassen allerdings zumindest eine entscheidende Kurskorrektur erwarten.

Literatur

Gaugl, H. (2015). Politische Machtspiele: Schlachtfeld oder Chance; Braucht unsere Demokratie Mediation. Heidelberg: Springer-Spektrum.

Glasl F. (2011). Konfliktmanagement: Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. Stuttgart: Freies Geistesleben.

Schwarz G. (2010). Konfliktmanagement: Konflikte erkennen, analysieren, lösen. Wiesbaden: Gabler.

 

Eingegangen: 17. April 2015
Peer Review: 18. Mai 2015
Angenommen: 2. Juni 2015

 

Diesen Artikel zitieren als:
Gaugl, H.-J. (2015). Braucht unsere Demokratie Mediation? Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften, 2, 59–62.

 

Autorin

Mag. Hans-Jürgen Gaugl, MSc; Jurist, eingetragener Mediator, Unternehmensberater, Konfliktberater und Autor; Arbeitsschwerpunkte sind politische Mediation (gesellschaftspolitisch wie auch im Kontext zu Unternehmenskultur) und die Begleitung von Familien durch konfliktbehaftete Lebenssituationen; Absolvent des Universitätsinstituts ARGE Bildungsmanagement.

 

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