Gerda Mehta - Rezension: Strukturaufstellungen für Konflikte, Mobbing und Mediation. Vom sichtbaren Unsichtbaren

Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften
Ausgabe 2015/01
ISSN 2312–5853

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Gerda Mehta 1,◊

Rezension
Strukturaufstellungen für Konflikte, Mobbing und Mediation. Vom sichtbaren Unsichtbaren*

1 Gerda Mehta, systemische Familientherapeutin, Mediatorin, Lektorin
Korrespondenz über diese Rezension ist zu richten an mehtaⒶaon.at

In der ARGE Bildungsmanagement ist Christa Kolodej als gut informierte, dynamische, sehr offene, beliebte Vortragende bekannt, die die Studenten und Studentinnen mitnimmt in ihre Überlegungen und in ihre scheinbaren professionellen (Wissenschafts-) Zaubereiläden hineinschauen lässt, die sie aufgrund ihres Fachwissens gut fundieren kann. Durch ihre Schnelligkeit im Erkennen und Weiterdenken und in Planungen Umsetzen mutet ihr Wirken oft magisch an, weil ihre Schritte nicht so schnell nachvollziebar erscheinen, so möchte ich es anhand von Beobachtungen behaupten.
Es steht fest: Kolodej ist keine Zauberin, sondern eine fundierte Kennerin. Das Buch ist Ausdruck ihrer umfangreichen wissenschaftlichen Versiertheit. Und dies möchte ich im Folgenden etwas ausführlicher begründen.
Wenn Sie Kolodejs Ausführungen über Konflikte und systemische Fragetechniken, wie auch lösungsfokussiertes Konfliktmanagement lesen, wissen Sie, dass die Autorin in der Mediation, im psychologischen Verständnis von Konflikt und Konfliktdynamik, Systemischen Denkweisen und Interventionstechniken sehr zuhause ist. Sie finden keine Schwäche oder Ungenauigkeit. Sie läßt nichts Wesentliches aus. Sie fasst die theoretischen Ausschweifungen so mancher anderer Literatur sehr kompakt zusammen, ohne dass etwas wichtiges reduktionistisch verloren geht. Die vielen Frageformen wurden beispielswesie auf 12 Seiten anschaulich und mit Beispielen unterlegt dargestellt, die sie ebenso in vielen systemischen Büchern verstreut finden können. In diesem Buch finden Sie sie in übersichtlicher Form.
Ähnlich klar sind Settingmöglichkeiten und damit Gesprächeformen und Begegnungsmöglichkeiten auf den Punkt gebracht. Dann geht es zu ihrem Hauptstück - der Präsentation von Aufstellungsformaten und Aufstellungsarten.
Über ihre Darstellung der Wurzeln der Aufstellungsarbeit liese sich vielleicht streiten - die Geschichte ist ja unter anderem eine Erfindung des Betrachters. Je nach eigener Vergangenheit und Kontakt mit den Überlieferungen und Quellen wird sie anders geschrieben –nicht nur die Schulbücher!
Mit viel Liebe beschreibt sie die vielen Einsatzmöglichkeiten des Sichtbarmachens von Struktur und Ordnung, die aus den Erzählungen, Vorstellungen und Sehnsüchten externalisierbar und damit leichter erkennbar und auch für andere mitformbar werden. Sie scheint eine Freude an dieser Form, diesem Kommunikationsmittel zu haben, das die Sprache mit ihren vielschichtigen und vieldeutigen Verwechslungsmöglichkeiten um andere Dimensionen ergänzen kann. Sie kann damit eine weitere Ebene in den Kommunikationsstrudel zwischen Menschen und Menschengruppen einziehen oder diese durch Strukturbeengung / Komplexitätsreduktion - auf dem Brett, im Raum, als Skulptur – im wahrsten Sinn des Wortes sichtbar werden lassen.
Und nun möchte ich eine andere Sichtweise einbringen, die mir in der Aufstellungslandschaft so selten begegnet: Eine Vorgabe oder Einladung zur Struktur - und sei sie noch so abstrakt - schafft Einengung. Sie kann ausgebaut, reduziert, fragmental bleiben. Eine Struktur läßt sich verrücken, zerstören, aber nicht mit sich reden. Und das ist die Beschränkung von Strukturvorgaben. Was, wenn die Struktur nicht zum Inhalt passt? Wenn die Struktur zu grobmaschig ist, oder zu klein kariert - wie ein um etliche „Größen“ zu kleines Kleidungsstück? Oder die Nummerierung des Kleides folgt den Reinigungsanweisungen und nicht der Kleidergröße?
Mit anderen Worten: Nicht alles passt in Aufstellungsformaten. Stukturbildungen werden aufdringlich, sind prädeterminierend, auch wenn sie noch so vorsichtig eingesetzt werden, wie es Frau Kolodej tut und auch im Buch beschreibt. Es ist eine „Sprache“, die vieles vorgibt und voraussetzt und einiges sichtbar machen kann, wenn die Sache an sich mit dieser Struktur korrespondiert. Sonst wird Verstörung, oder sogar Nonsens daraus und ihr kann dann Magie oder Sektenartigkeit unterstellt werden, je nach emotionaler Einfärbung. Vielleicht ist jedoch gerade die damals gewählte Struktur vor Ort nur eine falsche Abstrahierung gewesen oder eben durch die Abstrahierung besonders hilfreich durch ihr Sichtbarmachen geworden? Für wen? Den Betroffenen, Aufsteller, Zeugen? Kritisiert und gefürchtet wird aus meiner Sicht oft eine falsche Logik, in die man etwas pressen will oder nicht kann – das selbst ist wieder eine Verallgemeinerung, die den Aufstellungen zugeschrieben wird. Kolodejs Versuch mit dem Buch ist dem gegenüber eine Klarstellung, eine Entzauberung und Entmystifizierung und damit vollzieht sie einen sehr wichtigen Schritt in Richtung genereller Entmystifizierung von Aufstellungen.
Eine weitere Herausforderung: Kolodej meint (S.181) Mediation und Strukturaufstellungen passten synergetisch zusammen, weil sie dieselben Grundhaltungen teilen. Dies ist jedoch aus meiner Sicht nur eine der möglichen Sichtweisen. Transformative Mediation oder narrative Mediation (Monk & Windsdale, 2000) oder auch so manche Identität basierten Mediationsansätze (z.B. Fedorowics 2003) folgen einer ähnlichen Logik aus meiner Sicht, die ihrerseits auch wichtige Mediationsstränge repräsentieren. Anderen Ansätzen ist die Transparenz und die jederzeit Autonomie respektierende Vorgangsweise gerade in der Mediation wichtig – dies ist bei Aufstellungen nicht unbedingt der Fall.
Die richtige Brille kann jeden Schlechtseher Welten zugänglich machen, von denen er/sie ohne Brillenkorrektur depraviert ist. So kann auch eine Aufstellung bisher unsichtbar Gebliebenes sichtbar werden lassen, aber es kann auch in dem speziellen Fall ein ungeeignetes Instrument sein. Kolodej sieht diese Sache sehr differenziert - und ich hoffe, LeserInnen und NachahmerInnen der so mundgerecht dargestellten Interventionsformen auch.
Sehr interessant ist der Platz gewählt, den sie der kataleptischen Hand einräumt (S.85). Die Hand als Zwischenglied, das von der Besitzerin dissoziert werden kann. Damit kann die Hand als Repräsentantin verwendet werden und von der Trägerin wie ein Fremdkörper wahrgenommen werden. Sie wird zum dialogischen Mittel, zum Bindeglied. Ich denke, die Funktion und Zuschreibungen der Funktion der Hand sind noch viel ausbaufähiger als die Autorin es hier gemacht hat, steckt doch auch in ihr in der Praxis Führung, Klarheit, Anweisung, Einladung, Sicherheit, Berührung, Geführt werden, usw. Damit ist die Hand mehr als „nur“ Dissoziation für den Handbesitzer; sie ist Instrument, Brücke zum Du, ja, sogar eine Ergänzung zum Blick, dessen Funktion beispielsweise Levinas so ausführlich beschreibt (Levinas, 2003). Zumindest sind das meine eigenen Dazugedanken.
Resumee: Frau Kolodejs Buch scheint eine gut recherchierte Antwort auf Vorwürfe geben zu wollen, Aufstellungen besitzen eine gefährliche Nähe zur Esotherik. Ihre Sprache im Buch ist klar, übersichtlich, nachvollziehbar. Magie und Scharlatanerie fehlen gänzlich. Wisschaftliche Quellen, Experimente, Wirksamkeitsnachweise werden gebracht, Querverbindungen mit vielen prominenten Autoren und Autorinnen der Konfliktforschung und Systemik gezogen.
Nach dem Lesen und Verstehen und Einverleiben des Buches könnte man und frau verführt werden zu denken, nun die Praxis beherrschen zu können und „ran an die Praxis zu gehen“. Es scheint sich bei der Materie selbst jedoch um eine Art Strudelteig zu handeln. In den Händen von geübten Strudelmacherinnen kann eine Götterspeise (alle möglichen Suppeneinlagen, Beilagen und Nachspeisenschmankerl) entstehen oder ein nicht essbarer Mehlklumpen.
Insgesamt ein Buch für Macher und Macherinnen, Peacebuilder und Peacebuilderinnen. Es ist geeignet zum Nachschlagewerk für Ideen zur Auflösung von Konflikthaftem, Anregungen für Interventionen und Anleitungen für viele Vorgangsweisen in der Gesprächsführung zu werden.

Literatur

Fedorowics H. (2003). Dialogprozesse in politisch angespannten Gebieten. In: Mediation und Demokratie. Gerda Mehta und Klaus Rückert 2003, S. 240-259, Heidelberg: CarlAuerverlag.

Folger J, Baruch Busch R. (1996). Transformative mediation and third-party intervention: Ten hallmarks of a transformative approach to practice. Conflict Resolution Quarterly 13/4 263-278.

Klein R., Limberg-Strohmaier S (2012). Das Aufstellungsbuch. Familienaufstellung, Organisationsaufstellung und neueste Entwicklungen. Wien: Braumüller GMBH.

Levinas E. (2003). Humanism of the other. Chicago: University of Illinois Press in Urbana and Chicago. Übersetzung von Nidra Poller.

Winslade J., Monk J. (2000). Narrative Mediation: A New Approach to Conflict Resolution. San Francisco, CA: Jossey-Bass.

Eingegangen: 19. Dezember 2016
Peer Review: 27. Dezember 2016
Angenommen: 29. Jänner 2017

 

Diesen Artikel zitieren als:
als: Mehta Gerda. (2017). Rezension. Kolodej Christa: Strukturaufstellungen für Konflikte, Mobbing und Mediation. Vom sichtbaren Unsichtbaren. Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften, 3, Y–ZZ.

 

Autorin

Gerda Mehta, Systemische Familientherapeutin, Lehrtherapeutin der ÖAS, Lektorin der ARGE Bildungsmanagement, und Sigmund FreudPrivatuniversität, Mitglied des Psychotherapiebeirates des Ministeriums für Gesundheit.

 

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