Sibylle Lebeth  - Ein sicherer Ort? - Zur psychotherapeutischen Arbeit mit LGBT-Geflüchteten in Österreich

Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften
Ausgabe 2018/01
ISSN 2312–5853

Full Text:  pdf  Artikel als PDF

Sibylle Lebeth1

Ein sicherer Ort? - Zur psychotherapeutischen Arbeit mit LGBT-Geflüchteten in Österreich

1selbständig in eigener Praxis
Korrespondenz über diesen Artikel ist zu richten an Sibylle Lebeth, BA pth. Psychotherapie & Beratung, 1160 Wien, Arnethg. 85/9, Email: sibylle.lebethⒶa1.net

Zusammenfassung

Der Artikel befasst sich mit der oft dramatischen Situation von LGBT-Geflüchteten in Österreich aus dem Blickwinkel psychotherapeutischer Versorgung. Es wird den Fragen nachgegangen, was diese Gruppe von anderen Geflüchteten unterscheidet und wie sie vor weiterer Verfolgung, Gefährdung und Traumatisierung durch Behörden, aber auch durch Landsleute, bewahrt werden kann. Selbst Psychotherapeutin, erörtert die Autorin einige grundlegende Fragestellungen für eine verantwortungsvolle Haltung in der therapeutischen Arbeit mit LGBT-Geflüchteten.

Abstract

The article addresses the dramatic situation of LGBT refugees in Austria from the perspective of psychotherapeutic care. The author explores in which way this group differs from others and how one can contribute to protect them from further prosecution, threats and traumatization inflicted by Austrian authorities as well as from fellow natives. A psychotherapist herself, she discusses some fundamental issues regarding a responsible approach in the therapeutic encounter with LGBT refugees.

Keywords: LGBT-Geflüchtete, Trauma, Psychotherapie / LGBT refugees, trauma, psychotherapy.

1. Einleitung

 

LGBTIQ-Geflüchtete brauchen besonderen Schutz. Warum? Was unterscheidet diese Gruppe von anderen? Was macht sie besonders schützenswert und welchen spezifischen Bedrohungen ist sie im Vergleich zu anderen Geflüchteten ausgesetzt? Gibt es etwas, das homo-, bi- oder transsexuelle Asylsuchende gemeinsam haben und das sie von anderen Geflüchteten unterscheidet? Und was bedeutet das für traumaspezifisches psychotherapeutisches Arbeiten mit diesen Menschen?
Es gibt wenig verlässliche Daten darüber, wie viele homosexuelle oder transidente Personen mit Fluchthintergrund sich in Österreich aufhalten. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass das Tabu, mit dem Homosexualität oder Transidentität in vielen Gesellschaften behaftet ist, samt der damit verknüpften Angst und Scham zahlreiche Asylsuchende aus Kriegsgebieten von einem „Outing“ abhält. Auch die weit verbreitete Unwissenheit darüber, dass Verfolgung aufgrund von Homo- oder Transsexualität rechtlich einen Asylgrund in Österreich darstellt, spielt eine problematische Rolle.Trotz dieser Widrigkeiten gibt es unter den Geflüchteten auch Personen, die sich – freiwillig oder unfreiwillig –zu ihrer homosexuellen Orientierung oder Trans-identität bekennen. Österreichische LGBT-Initiativen der Rosa-Lila-Villa, die HOSI („Homosexuellen-initiative“), „Queer Amnesty Österreich“ und einige mehr wurden daher in den letzten Jahren verstärkt aktiv, als immer klarer wurde, dass LGBT-Geflüchtete auch in Österreich besonderen Gefahren ausgesetzt sind, die spezielle Maßnahmen erfordern. Aus diesen Aktivitäten sind mittlerweile eigenständige Initiativen wie „Queer Base“ oder auch ARA („Afro Rainbow Austria“) entstanden, die sich Schutz und Betreuung LGBT-Geflüchteter zur Aufgabe gemacht haben.
Dabei – wie auch in den begleitenden psycho-therapeutischen Prozessen – geht es zunächst um die Bereitschaft, sich mit den materiellen, politischen und kulturellen Realitäten und Rahmenbedingungen der KlientInnen auseinanderzusetzen, die Besonderheiten von homosexuellen und transidenten Asyl-suchenden zu erfassen um ihre Fluchtmotive zu verstehen und in einen soziokulturellen Kontext zu stellen.
Als Psychotherapeutin bin ich immer auch Lernende. Neugier und Interesse an den Lebensumständen unserer KlientInnen, an ihren individuellen Sichtweisen und Interpretationen, an ihren kulturellen Prägungen und Überzeugungen sind Voraussetzungen für meine therapeutische Arbeit und, wie ich meine, unabdingbar für ein ausreichendes Verständnis des in einen gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenhang eingebetteten Individuums.

2. Bestrafung, Verfolgung, Ausgrenzung: zur Situation von LGBT-Personen weltweit

ILGA, der weltweite Dachverband der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen, beschäftigt sich in seinem Bericht mit den gesetzlichen Bestimmungen einzelner Staaten bezüglich sexueller Orientierung und gibt ein detailliertes Bild über die rechtlichen Situationen für LGBT-Personen weltweit. Der letzte Bericht vom Mai 2017 nennt 72 Staaten, in denen homosexuelle Handlungen per Gesetz verboten sind, in 45 davon sowohl zwischen Männern als auch zwischen Frauen. Das Strafmaß variiert je nach Staat von einigen Jahren bis zu lebenslänglich. In 8 Staaten – teilweise im ganzen Staatsgebiet, teilweise in bestimmten Regionen – kann für homosexuelle Handlungen die Todesstrafe verhängt werden, immer wieder werden dort Menschen für ihre Homosexualität hingerichtet oder wird ihre Ermordung stillschweigend geduldet. 19 Staaten verbieten jede Art von Öffentlichkeit für LGBT-Themen, also auch jegliche Form von Berichterstattung. (Carol & Mendos, S.8) Dies nur einige grobe Daten zur Verfolgung von LGBT-Personen von staatlicher Seite.
Neben dem Terror durch Institutionen und Behörden sind LGBT-Personen in ihren Heimatländern aber auch Repressionen vonseiten der Bevölkerung ausgesetzt, die abseits staatlicher Sanktionierung – wenn auch oftmals mit staatlicher Duldung – geschehen und den Zweck haben, geltende kulturelle Normen und Moralvorstellungen durchzusetzen und abweichendes Verhalten zu sanktionieren oder gleich im Keim zu ersticken. Es nimmt nicht Wunder, dass in Ländern oder Regionen, in denen Religion oder totalitäre Ideologien eine starke gesellschaftsstrukturierende Macht haben, die rigorosesten Verfolgungen und Sanktionen vorzufinden sind. Um etwaigen voreiligen Schlussfolgerungen zuvorzukommen sei an dieser Stelle gesagt, dass dies keineswegs nur auf islamisch geprägte Gesellschaften zutrifft. In Uganda, das seit Jahren aufgrund seiner menschenverachtenden Homosexuellenverfolgung international in der Kritik steht, sind dortige christliche Vereinigungen maßgeblich an der Hetze, Verfolgung und Ermordung homosexueller Menschen beteiligt; während die internationale Gemeinschaft auf die rigorose Anti-Homosexuellen-Politik sogar mit Kürzung internationaler Hilfsgelder reagierte und Uganda bei der geplanten Verhängung der Todesstrafe für Homosexualität einen Rückzieher machen musste, bekommen christlich-fundamentalistische Vereinigungen vor Ort tatkräftige Unterstützung durch US-amerikanische evangelikale Kirchenverbände (vgl. Hedeman). Auch in einigen Ländern Osteuropas, wie etwa Russland oder Armenien, sind Homosexualität bzw. Transidentität zwar nicht verboten, aber tabuisiert und mit staatlich geförderter gesellschaftlicher Ächtung sanktioniert, die Homosexuelle und transidente Personen zu leichten Angriffszielen für homophobe Aggression macht.
Wie vielschichtig, perfide und alle Bereiche des Alltagslebens durchdringend die Gefahren und Risiken für LGBT-Personen tatsächlich sind, lässt sich aus der Aufstellung erahnen, die das „User Guide-Resettlement Assessment Tool: LGBTI Refugees“ vom April 2013 zusammengetragen hat. Der Bericht, der unter der Schirmherrschaft der UNHCR veröffentlich wurde, bedeutet auch gleichzeitig eine öffentliche Anerkennung der besonderen Vulnerabilität und Schutzbedürftigkeit von LGBTQI Personen in aller Welt. Die darin aufgelisteten Risiken möchte ich hier für sich selbst sprechen lassen:

  • physische und sexuelle Gewalt wie Schläge, Entführungen, Ehrenmorde oder Vergewaltigung als Mittel, sexuelle Minderheiten an die dominanten Gender-Rollen zwangsanzupassen oder um „ein Exempel zu statuieren“. Daraus resultierend die Notwendigkeit, abweichende sexuelle Orientierung und / oder Gender-Identität aus Furcht vor Missbrauch, Gewalt oder Verlust von Unterstützung zu verbergen•    Ablehnung durch Familie und Gemeinschaft, Fehlen von unterstützenden Netzwerken und ein erhöhtes Risiko, Ehrenverbrechen zum Opfer zu fallen
  • Zwangsverheiratung
  • Vertreibung durch Landbesitzer und andere Gruppen bei Bekanntwerden der sexuellen Orientierung und / oder Gender-Identität
  • schwere psychologische Nachwirkungen (wie etwa PTBS, Depression oder Angsterkrankungen) als Folgen vergangener und / oder andauernder physischer und sexueller Gewalt, Ausgrenzung, und anderem aus der LGBT-Identität resultierendem Leid
  • Drangsalierung, Drohungen und Beschimpfungen – oft täglich – auf der Straße, am Arbeitsplatz oder in Institutionen (etwa in der Gesundheitsvorsorge oder in Krankenhäusern)
  • Rückgriff auf Sexarbeit als Überlebensstrategie und die damit verbundenen physischen Gefahren und Gesundheitsrisiken, inklusive sexueller und körperlicher Gewalt und sexuell übertragbarer Krankheiten
  • Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen und damit verbunden Gefahr von Verhaftung, Arrest, Verfolgung und Bestrafung; erhöhte Gefahr von sexuellem Missbrauch in Haft
  • diskriminierende Gesetze und Praktiken in Bezug auf Arbeit, Unterkunft, Gesundheits-fürsorge, Bildung, Familienrecht und Obsorge für Kinder und daraus resultierend gravierende Schwierigkeiten im Zugang zu grundlegenden Unterstützungsangeboten
  • Mangel an Zugang zu sicheren und angemessenen Unterkünften für gefährdete Individuen, mit der Gefahr, einer weiteren Erhöhung des Risikos, physischem und sexuellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung ausgesetzt zu werden
  • Abhängigkeit von missbräuchlichen Beziehungen, inklusive sexueller Handlungen im Austausch für Schutz, Unterkunft oder Essen
  • Transgender-Personen sind besonders hohem Risiko ausgesetzt, wenn ihre Selbst-identifikation und ihr physisches Erscheinungsbild nicht mit dem juristisch zugewiesenen Geschlecht ihrer behördlichen Dokumente übereinstimmen
  • Nachteile in der Gesundheitsfürsorge und fehlender Zugang zu HIV-Vorsorge und - Behandlung; Transgender-Personen haben oft keinen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung, inklusive transitionsrelevanter Behandlung
  • Fehlen von Rückhalt bedingt durch diskriminierende Praktiken am Arbeitsmarkt, Gefahr der Entlassung und Schmähung bei Bekanntwerden der sexuellen Orientierung, Boykott von LGBT-Kleinstbetrieben
  • Fernhalten von Nahrungsangebot, wie etwa das Nichtzulassen zu Lebensmittelschlangen oder die Zurückweisung an
    Lebensmittelverteilungsstellen in Krisenregionen

(UNHCR 2013, S. 4, aus dem Englischen übersetzt von der Autorin)
Die obige Liste macht mehr als deutlich, dass LGBT-Personen in vielen Ländern der Erde schwerwiegender und oft systematischer Diskriminierung ausgesetzt sind, denen sie sich oftmals nur durch Flucht entziehen können.

3. Ängste, Scham und Desinformation zur Situation von LGBT-Geflüchteten in Österreich

Österreich ist seit einem entsprechenden Entscheid des Verfassungsgerichtshofs 2014 einer von zwölf Staaten, in denen die Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung einen anerkannten Asylgrund darstellt; einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof 2013 zufolge sind Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und / oder Gender-Identität Angehörige einer sozialen Gruppe, die Anspruch auf besonderen Schutz hat, „wenn sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren außerhalb ihres Herkunftslands befinden und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder aufgrund der begründeten Furcht nicht in Anspruch nehmen wollen“ (Art. 1 A.2. der Genfer Flüchtlingskonvention, UNHCR,S.2):
So gesehen bietet Österreich LGBT-Personen die Möglichkeit, hier um Asyl anzusuchen, gesetzt den Fall, die geflüchtete Person weiß über diese Möglichkeit überhaupt Bescheid und auch die Menschen, auf die sie hier trifft, sind über die Rechte von LGBT-Geflüchteten informiert. Dies ist möglicherweise in der Gegenwart aufgrund der Bemühungen von Homosexuellen-Initiativen mehr als früher der Fall; dies war und ist aber keineswegs immer so.
Fehlendes Wissen über sexuelle Orientierung oder Transidentität als Asylgrund und ein auch im professionellen Umfeld zu verzeichnender Mangel an Wissen und Sensibilität gegenüber „queeren“ Lebensrealitäten haben das Schicksal schon so mancher LGBT-Person in Österreich auf dramatische Weise mitbestimmt. So hängt der weitere Verbleib einer LGBT-Person in Österreich oft davon ab, dass Fragen so gestellt werden, dass der/die Geflüchtete seine/ihre Scham und Furcht überwinden kann, dass der/die DolmetscherIn die treffenden Worte dafür findet und, vor allem, dass die geflüchtete Person sich in einem Befragungsklima befindet, das es ihr ermöglicht, über Tabuthemen wie die sexuelle Orientierung und / oder Transidentität halbwegs frei sprechen zu können.
Wie auch bei anderen Geflüchteten spielen Dolmetscher/Dolmetscherinnen in der Kommunikation zwischen Behörden, Gesundheitseinrichtungen und anderen Institutionen eine wichtige Rolle. Im Fall von LGBT-Personen kommt diesem Aspekt aber noch einmal eine besonders heikle Bedeutung zu, wenn man bedenkt, dass auch DolmetscherInnen oft aus dem gleichen Kulturkreis wie die Geflüchteten stammen und zumindest teilweise kulturelle Normen der Herkunftsgesellschaft verinnerlicht haben. Nicht selten mangelt es auch hier an Wissen über Homo- oder Transsexualität als Asylgrund. „‘Ich habe den Übersetzer gefragt, ob ich deswegen Asyl beantragen kann‘ und oft war die Antwort ‚nein, tu das nicht!‘“ erzählt Marty H. von der Initiative Queer Base über Erfahrungen LGBT-Geflüchteter in offiziellen Befragungssituationen, die ihr in der Beratungsstelle berichtet werden. (Interview,  17.01.2018)
Das soll nicht bedeuten, dass Dolmetscher/ Dolmetscherinnen generell homophob oder unwissend sind, sondern dass es qualitätssichernde Maßnahmen für die in diesem Feld arbeitenden Personen braucht und für die nötigen Mittel gesorgt werden muss, um sich etwa mit bisher unbekannten Begrifflichkeiten vertraut zu machen und mit eigenen Unsicherheiten und Tabus bezüglich Sexualität und Homosexualität in ihrer VermittlerInnenfunktion besser klar zu kommen. Um das zu gewährleisten, werden auch hier Richtlinien und Hilfsmittel erarbeitet, wie etwa Manuals mit bisher unbekanntem Vokabular in unterschiedlichen Sprachen, in denen Termini erklärt und ihre Unterschiede dargelegt werden.
Ziel solcher Initiativen ist es, durch bewusstseinsbildende Maßnahmen ein Gesprächsklima zu schaffen, das angstfreie Kommunikation zwischen DolmetscherInnen und Geflüchteten ermöglicht und Gelegenheit schafft, emotionale Vorbehalte abzubauen sowie einen sicheren Rahmen für die Befragungs- und Dolmetschsituation zu schaffen.
Das heikelste Problem dabei ist die Überwindung der Angst und der Scham. Aus schlechten Erfahrungen mit Behörden und Ämtern im eigenen Land, aus der Erfahrung von Verfolgung und Unterdrückung sind LGBT-Geflüchtete oft außerstande, das Schweigen nach Jahren der Geheimhaltung zu brechen und sich zu outen. Zudem können dem ent-sprechende kulturelle Tabus oder auch ein Mangel an Begrifflichkeiten in manchen Sprachen – hier sei nochmals auf die wichtige Rolle der DolmetscherInnen verwiesen – Hindernisse darstellen, die in der ohnehin stressigen Befragungssituation kaum zu überwinden sind. Erschwerend kommt hinzu, dass es behördlicherseits ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr möglich ist, die sexuelle Orientierung oder Gender-Identität als Fluchtgrund anzugeben, wenn dies nicht bei den ersten Befragungen bereits geschehen ist. (vgl. Qadar, S.16)
Aber auch klischeehafte oder stereotype Bilder über Homosexuelle oder transidente Personen spielen im Asylverfahren eine fragwürdige Rolle: Beamte und Beamtinnen bringen ihre jeweils eigenen Vorstellungen über Homosexuelle in die Befragung mit, und auch bei Transidentitäten tun sich oftmals nicht zu unterschätzende Hindernisse in der Beurteilung auf. Einerseits müssen BeamtInnen die Glaubwürdigkeit der Asylgründe überprüfen, andererseits stellen Fragen nach sexuellen Vorlieben und Praktiken einen besonderen Eingriff in die Intimsphäre einer Person dar und die Gefahr, die Würde der befragten Personen zu verletzen, ist besonders hoch. Von demütigenden und fragwürdigen Methoden, die sexuelle Orientierung etwa anhand „phallometrischer Tests festzustellen, die die körperlichen Reaktionen einer Person auf Pornographisches untersuchen“ (Janson 2014, S. 1), wurde in der Vergangenheit etwas aus Tschechien und anderen Ländern berichtet. Welche Auswirkungen so geartete Eingriffe in die Privatsphäre ohnehin bereits traumatisierter und verängstigter LGBT-Geflüchteter haben, ist nicht schwer, nachzuvollziehen.
Hier konnten Homosexuelleninitiativen Nachbesserungen im EU-Recht erwirken und Verbesserungen im Hinblick auf die Würde der Person wahrende Befragungstechniken erzielen (vlg. Qadar, S. 23). Trotzdem werfen die Verfahren schier unlösbare Fragen auf: gibt es „allgemeingültige“ Merkmale aller Schwulen, Lesben und / oder Menschen mit Transidentitäten? Woran kann Homosexualität erkannt werden? So ist es nicht weiter verwunderlich, dass bei der „Beweisfindung“ der subjektiven Einschätzung des befragenden Beamten / der befragenden Beamtin eine nicht unproblematische Rolle zukommt. AktivistInnen in Österreich berichten von Fällen, in denen AntragstellerInnen, die nicht in gängige Klischeevorstellungen über Schwule, Lesben oder Transgender-Personen passen, größte Probleme hatten und haben, ihre LGBT-Identität glaubhaft zu machen.
Es muss hier also nochmals auf die die Wichtigkeit von professionellen Schulungen hingewiesen werden, in denen BeamtInnen das nötige Know-how vermittelt bekommen, um ausreichend über Kenntnisse in Bezug auf „queere“ Lebensweisen sowie über Hintergrundwissen zu verfügen (vgl. Qadar, S. 18).
Zentral ist auch das Problem der Unterbringung. Es geht hier nicht so sehr um die zahlreichen Einschränkungen und den Mangel an Privatsphäre, die Massenunterkünfte für Flüchtlinge gemeinhin bedeuten, sondern um die damit verbundenen speziellen Missstände in Bezug auf LGBT-Personen. (Diesbezügliche Vorfälle waren es, die LGBT AktivistInnen überhaupt erst auf den Plan gerufen haben). Es erwies sich, dass LGBT-Geflüchtete in solchen Quartieren den gleichen Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt sind, die sie einst zur Flucht veranlasst haben. Wird ihre Homosexualität oder Transidentität bekannt, so setzt sich die Verfolgung durch die eigenen Landsleute und / oder andere homophobe Individuen und Gruppen in Österreich fort, der Teufelskreis beginnt erneut. Hier insbesondere greifen die in den letzten Jahren unternommenen Bemühungen von Homosexuelleninitiativen, den geflüchteten LGBT-Personen sichere Unterkünfte zu organisieren und auch den Behörden die Notwendigkeit zur Schaffung sicheren Wohnraums für Angehörige dieser Gruppe vor Augen zu führen.
Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass in den letzten Jahren ein stetig wachsendes Bewusstsein für die Gefahren, denen homosexuelle und transidente Menschen ausgesetzt sind, verzeichnet werden kann – dies nicht zuletzt durch die unermüdliche Arbeit lokaler Verbände und Organisationen sowie durch das Engagement vieler Einzelpersonen. Die hohe Zahl an Geflüchteten, die in den letzten Jahren aufgrund der Kriege im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in vielen Regionen Afrikas, nach Europa und andere Teile der Welt drängen, hat hier vieles in Bewegung gebracht; es sind vielerorts Privatinitiativen entstanden, es haben sich „queere“ Netzwerke gebildet und bestehende Organisationen arbeiten besser und enger zusammen.
4. Zur psychotherapeutischen Arbeit mit LGBT-Geflüchteten
Um als PsychotherapeutIn mit traumatisierten LGBT-Geflüchteten arbeiten zu können, genügt es also nicht, sich Wissen über die bereits erwähnten soziokulturellen Lebenswelten der KlientInnen anzueignen und über die unterschiedlichen Bedürfnisse der KlientInnen Bescheid zu wissen, der/die TherapeutIn muss auch die entsprechenden Hilfs- und Beratungsangebote in seiner/ihrer Umgebung sehr genau kennen. Dies ist bei LGBT-Geflüchteten essenziell, einerseits, weil die Geflüchteten selbst aufgrund von Sprachbarrieren und in Unkenntnis der österreichischen psychosozialen Landschaft größte Schwierigkeiten haben, Zugang zu Informationen zu bekommen.
Andererseits stellt die Zusammenarbeit mit „einschlägigen“ Organisationen, sprich Homosexuellen-Initiativen oder mit den Belangen von LGBT-Personen vertrauten Gesundheits- und Beratungseinrichtungen einen großen Vorteil und eine Entlastung für die therapeutische Arbeit und somit auch für die Therapeutin / den Therapeuten selbst dar: ich kann mich mit meinen KlientInnen auf den therapeutischen Prozess nur dann wirklich einlassen, wenn für ihre Probleme und Anforderungen im österreichischen Alltag kompetente und kontinuierliche AnsprechpartnerInnen zur Verfügung stehen, die die Gefahr weiterer Traumatisierung von LGBT-Geflüchteten (z. B. durch unprofessionellen Umgang oder Voreingenommenheit) so gering wie möglich halten.
Traumatherapie mit Menschen, die ständig im Außen bedroht sind, ist eine als Einzelperson kaum zu bewältigende Aufgabe, weil es nicht nur um den Schutz des Klientin/der Klientin geht, sondern auch um die Selbstfürsorge als TherapeutIn. Vernetzungsarbeit stellt somit eine wichtige Voraussetzung für Therapie mit Traumatisierten dar. Um die Therapiesitzungen zu einem „sicheren Ort“ zu machen und die Ohnmacht des Klienten/der Klientin angesichts des erfahrenen Leids aushalten und gemeinsam tragen zu können, braucht es den Rückhalt eines Netzwerks. Es hilft nicht zuletzt auch dabei, sich in diverse Aspekte des „Andersseins“ einzufühlen und der Not und Einsamkeit von Personen, die aufgrund ihres von der „Norm“ abweichenden sexuellen Erlebens und Empfindens verfolgt und verachtet werden, mit Respekt und Solidarität zu begegnen.
Das Erleben von „Anderssein“ und die daraus resultierenden Erfahrungen von fehlender Wertschätzung, die Erlebnisse von Abwertung oder offener Ablehnung, die LGBT-Personen oft bereits in jungen Jahren sammeln müssen, sind aus therapeutischer Sicht deshalb so relevant, weil das Zusammenspiel von traumatischen Erlebnissen und einem verletzten, verunsicherten Selbst besonders destabilisierend und bedrohlich ist. Die Selbstabwertung zum Zweck der Aufrechterhaltung der Beziehungsfähigkeit zu primären Bezugspersonen sowie die Unsicherheit bezüglich des Selbstbildes und der eigenen Identität führen in der Folge zu Schuld- und Schamgefühlen und erzeugen dauerhaft Inkongruenzen bezüglich der Selbstwahrnehmung (innen) und den erlebten Erfahrungen (außen). Was das Selbst kränkt – und dauerhafte Kränkungen machen krank – ,ist nicht das eigene Begehren sondern resultiert aus den Begehrlichkeiten einer auf Anpassung und Normierung ausgerichteten Gesellschaft. Die von ihr eingesetzten Mechanismen zur Unterdrückung und Auslöschung der unliebsamen und für die „Moral“ der Restbevölkerung offenbar gefährlichen menschlichen Daseins- und Begehrensformen bereiten früh das Terrain für erste Traumatisierungen und verschaffen diesen dann unablässig weiter Nahrung. Kommen noch, wie das bei den allermeisten LGBT-Geflüchteten der Fall ist, die entsprechenden traumatischen Ereignisse und Erfahrungen im Herkunftsland und / oder auf der Flucht sowie die überaus schwierigen Existenzbedingungen in Österreich hinzu, so bedeutet das eine kaum zu bewältig-ende Belastung für das ohnehin fragile und oft beschädigte Selbstbild der Person.
Traumaspezifisches Arbeiten mit einer so vulnerablen Gruppe wie LGBT-Geflüchtete bedeutet also: Engagement über den abgegrenzten Raum der Therapie hinaus. Neben transkultureller Neugier und Interesse an teilweise von eigenen Erfahrungen radikal abweichenden Lebens-, Denk- sowie Reflexionsweisen bedarf es der Bereitschaft, sich mit den Spezifika homosexueller und transidenter Lebens-welten auseinanderzusetzen und die eigene Haltung im Hinblick auf all das zu kennen und zu reflektieren. Es bedarf der Anstrengung, sich um Verbündete zu bemühen, die benötigten Netzwerke aufzubauen und sich bei Bedarf mit anderen Berufsgruppen auszutauschen. Es muss ausreichend Gelegenheit gegeben sein, sich um ein gutes Einverständnis mit DolmetscherInnen zu bemühen und auf eine entsprechende Sensibilität in Bezug auf homosexuelle und transidente Lebensweisen zu bestehen. Letztlich bedarf es auch einer besonderen Achtsamkeit, in dem schwierigen und konfliktreichen Prozess der gemeinsamen Trauma-Arbeit nicht selbst den Boden unter den Füßen zu verlieren.
In therapeutischen Prozessen (oft aber auch in sozialarbeiterischen und amtlichen Prozeduren) ist dieser speziellen Situation Rechnung zu tragen, indem auf bedingungslose Wertschätzung gegenüber allen Persönlichkeitsanteilen besonders geachtet werden muss. Dabei ist die eigene Haltung zu mit Homosexualität und Transidentität in Verbindung stehenden Fragen genauso zu reflektieren wie jene zu kulturell unterschiedlich tradierten Wertvorstellungen, wie etwa die Rolle des Individuums in der jeweiligen Gesellschaft oder kulturelle Zuschreibungen in Bezug auf das Zusammenleben von Männern und Frauen. Schuld- oder Schamgefühle des Klienten/der Klientin sowie die Verteidigung verinnerlichter gesellschaftlicher Wertesysteme – auch zum Schaden des eigenen homosexuellen Empfindens – muss der/die TherapeutIn als Gegenüber aushalten und als Versuch werten, die Verbindung zu vertrauten Personen und vertrauten Lebensweisen nicht zu verlieren und sich selbst als intaktes Beziehungswesen zu spüren und zu erleben.
Fakt ist: wenn LGBT-Personen aus homophoben Heimatländern fliehen, dann tun sie das aus mehr als triftigen Gründen. Das eigene sexuelle Empfinden, die eigene geschlechtliche Identität leben zu können ist ein Menschenrecht, das ihnen in ihren Heimatländern verwehrt wird. Auch auf der Flucht und in ihren Ankunftsländern brauchen sie Schutz vor Verfolgung, vor Schikanen in den Unterkünften oder vor homophoben Mitmenschen aus der „Mehrheitsgesellschaft“. Sie brauchen sichere Wohnmöglichkeiten und in den Behörden, Ämtern, Institutionen und Gesundheitseinrichtungen Personen, die die spezielle Situation der Betroffenen verstehen und sensibel sind für ihre Bedürfnisse.
Wie gefährlich es in weiten Teilen der Welt sein kann, homosexuell oder transident zu empfinden und sich dazu zu bekennen oder gegen seinen Willen geoutet zu werden, zeigt ein Blick auf die Weltkarte -„Sexual Orientation Laws in the World – Overview“ (ILGA, 2017). Sie veranschaulicht eindrücklich die von Menschen gemachte Not und Bedrängnis homosexueller und transidenter Personen und macht das ihnen angetane Unrecht noch deutlicher. Die großflächig rot gekennzeichneten Stellen anzusehen und zu verstehen, dass überall dort Schwule, Lesben und transidente Menschen heute noch staatlich verfolgt, eingesperrt und sogar mit dem Tod bestraft werden können, ist eine erschütternde und empörende Erkenntnis. Sie hilft aber auch dabei, uns im Bewusstsein zu halten, wie viel es weltweit und auch in verhältnismäßig liberalen Staaten wie Österreich noch zu tun gibt, um LGBT-Personen zu ihren Menschenrechten zu verhelfen.

Literatur

Carol, A. & Mendos L. R. (2017). State-Sponsored Homophobia. A world survey of sexual orientation laws: criminalisation, protection and recognition. ILGA, 12th Edition, May 2017 URL:http://ilga.org/state-sponsored-homophobia-report Abrufdatum: 01.02.2018.


Hedeman, P. (o. J.). Homosexualität in Uganda. Tödliche Schwulenjagd. URL:https://www.cicero.de/aussenpolitik/toedliche-schwulenjagd/46355. Abrufdatum: 02.02.2018.


ILGA (2017). Sexual Orientation Laws in the World-Overview. URL: http://ilga.org/downloads/2017/ILGA_WorldMap_ENGLISH_Overview_2017.pdf. Abrufdatum: 02.04.2018.


Interview mit Marty H. von “Queer Base” in der Rosa-Lila-Villa in Wien am 17.01.2018.

Janson, N. (2014). EuGH zur Überprüfung von Asylwerbern. Dürfen die Behörden die sexuelle Orientierung untersuchen? URL: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-urteil-c-148-13-asylbewerber-sexuelle-orientierung-behoerden-test/ Abrufdatum: 03.02.2018.


Qarar, C. (2017). Die Situation von LGBT Geflüchteten in Österreich, Bachelorarbeit zur Erreichung des Grades Bachelor of Arts in Social Sciences an der Fachhochschule St. Pölten.


UNHCR: Genfer Flüchtlingskonvention und New Yorker Protokoll. URL: www.unhcr.org/.../Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf, Abrufdatum: 01.14.2018.


UNHCR (2013). User Guide – Resettlement Assessment Tool: LGBTI Refugees, URL: http://www.unhcr.org/protection/resettlement/51de6e5f9/lgbti-refugees-unhcr-resettlement-assessment-tool.html, Abrufdatum: 01.02.2018.

Eingegangen: 09.04.2018
Peer Review: 24.04.2018
Angenommen: 30.05.2017

Autorin

Sibylle Lebeth arbeitet als personzentrierte Psychotherapeutin in Wien. Der vorliegende Artikel entstand im Rahmen des Universitätslehrgangs „Psychotraumatologie und Resilienz“ an der ARGE Bildungsmanagement in Wien.Diesen Artikel zitieren als: Lebeth, S. (2018). Ein sicherer Ort? Zur psychotherapeutischen Arbeit mit LGBT-Geflüchteten in Österreich. Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften, 4, 30–36.

 

© ARGE Bildungsmanagement. Dieser Open Access Artikel unterliegt den Bedingungen der ARGE Bildungsmanagement, welche die Nutzung, Verbreitung und Wiedergabe erlaubt, sofern die ursprüngliche Arbeit richtig zitiert wird.

Forschungsjournal / E-Journal

Wissenswertes

Kontakt

Mag. Alexander Eder
» +43(1) 2632312-21
» E-Mail