DER FISCH DES DIOGENES

Lea Czollek im Gespräch mit Ed Watzke über Queeres und Transgressive Mediation

Czollek: Vielen Dank Ed, dass Du Dir die Zeit genommen hast, gemeinsam mit uns darüber nachzudenken, was queeres Arbeiten jenseits von sex und gender im Bereich der Mediation bedeuten kann. Beschreib doch bitte zunächst, was Mediation ist, und in welchen Bereichen du Mediation durchführst?

Watzke: Beschreiben kann man alles Mögliche, will ich aber nicht. Auch nicht wiederholen, was in vielen Büchern an Definitionen nachzulesen ist. Und überhaupt: Es gibt ausgezeichnete, wertvolle, gelehrige Bücher, die auf 600 Seiten fast soviel rüber bringen wie ein guter Witz. Letztendlich möchte ich mich darauf beschränken, Mediation als ein Verfahren zu bezeichnen, wobei Dritte in neutraler Position, Konfliktparteien vermittelnd dazu zu verhelfen suchen, eine für alle Konfliktbeteiligten akzeptable Lösung zu finden. Ich führe Mediation vorwiegend im zwischenmenschlichen Bereich durch. Konflikte innerhalb von Familien und sozialen Nahbereichen, Nachbarschaften, Konflikte am Arbeitsplatz, auch verschiedenste Konflikte im öffentlichen Raum, im Straßenverkehr etc. Im Außergerichtlichen Tatausgleich, mit dem ich mich hauptberuflich beschäftige, dient die Mediation als Alternative zu einem straf- bzw. zivilgerichtlichen Verfahren.

Czollek: Mediation ist ein geregeltes Verfahren, das in gut abgrenzbaren Phasen abläuft. Bei den Queer-Theorien und bei queer als Praxis geht es um die Verschiebung von Grenzen und meine Frage ist, ob sich diese Konzeption der Verschiebung auch auf deine Arbeit beziehen lässt? Gibt es hier Grenzen, und spielst du mit Grenzen? Ich meine hier Grenzen sowohl im Rahmen der Mediation, im Rahmen des Verfahrens der Mediation, als auch im Rahmen dessen, wie Lösungen gefunden werden. Der Hintergrund dieser Frage ist, dass sich Menschen bei Konfliktlösungen auch in einem schon vorgegebenen Rahmen befinden, nämlich innerhalb der Grenzen des Vorstellbaren dessen etwa, was für sie eine Lösung von einem Konflikt sein könnte.
Du nennst ja auch deine Art und Weise zu mediieren TRANSGRESSIVE MEDIATION. Kannst du das ein wenig erläutern?

Watzke: Gerne. "TRANSGRESSIV" meint ja überschreitend. Ich denke, um kreative Metho-den/Lösungen zu entwickeln, bedarf es der Transgression, der Überschreitung von verschiedensten Grenzen: Zu allererst der eigenen Grenzen, insbesondere der methodischen. Da Kreativität vielmehr eine Sache des "Zulassens", weniger des "Tuns" ist, geht es zu allererst darum, sich selbst jegliche Gedanken, Bilder, Phantasien, Empfindungen, Gefühle etc. zu erlauben, Impulse zuzulassen und erst in einem nächsten Schritt zu befinden, wie damit umgehen? Blicken wir zurück in die Geschichte der Wissenschaft, so gibt es - von Archimedes "Badewannen-Heureka" an - jede Menge Beispiele, wie bahnbrechende neue Entdeckungen und Erkenntnisse durch Intuition, ja sogar durch blinden Zufall zustande kamen.
Die Grenzen der verschiedensten Disziplinen entstehen ja in unserem Kopf und haben oft mehr mit berufsständischen Interessen zu tun, als mit den in Frage stehenden Prozessen. So ist Beratung, was BeraterInnen tun, Mediation, was MediatorInnen tun, Therapie, was TherapeutInnen, Coaching, was Coaches tun usw.. Meine These ist folgende: Je umfassender das Wissen, die praktische Erfahrung, die spirituelle Reife und letztlich - alles das in sich vereinigend - die Weisheit des Intervenierenden, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen den oben genannten Bereichen. Der Grad der "Meisterschaft" ist eher am Verhältnis des Aufwandes zum Erfolg zu erkennen.
Waren Sufis, Zen-Meister, Rabbis, Schamanen, all die weisen Männer und Frauen von denen in allen Kulturen berichtet wird Mediatoren? Berater? Therapeuten? War etwa Merlin der "Coach" von König Artur?
Dann sind da noch die Grenzen des eingefahrenen Denkens - sowohl unseres als auch das unserer Klienten, aber auch die Grenzen der Vorstellung, der Phantasie. Diese gilt es, immer aufs Neue zu überschreiten. Können sich Menschen ohne/mit wenig Phantasie die Realität überhaupt vorstellen? Geschweige eine andere/bessere Zukunft? Selbstverständlich gilt: Ohne die vertrauten Küsten völlig aus den Augen zu verlieren, zu verlassen, wären noch nie entfernte Gestade/Eilande/Kontinente entdeckt worden.
Keine Frage, diese üblichen, landauf landab gebetsmühlenartig gelehrten und gelernten Phasen in der Mediation und insbesondre ihre genormte Abfolge durchquere ich ständig. Und das immer schon, aus ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung. Ich weiß, ich weiß: diese Regeln und Phasen haben ihre Bedeutung. Auch macht es Sinn, sich mit ihnen auseinander zu setzen. In der Praxis, in der konkreten Fallarbeit orientiere ich mich jedoch nicht nach solchen Phasen, sondern versuche mein bestes, alle Antennen auszufahren, den KlientInnen dort zu begegnen, wo sie sich gerade befinden und zwar in ihrem inneren Erleben/Empfinden/Fühlen/Denken. Meine Klienten und Klientinnen geben mir in gewisser Weise vor, in welcher Phase und Beziehung sie sich gerade zueinander befinden. Dieses innere Erleben gilt mir denn auch als Wahrheit für den betroffenen Menschen.
Wahr sind allein die Empfindungen, meint auch Wittgenstein. Dort, genau an diesem Topos, am aktuellen Hier-und-Jetzt beginnt der Turn, die Reise, die Aventiure mit den Betroffenen/Medianten. Und mein nächster Schritt besteht darin, ihnen zu signalisieren: Es ist völlig in Ordnung/OK/bestens, was immer sie innerlich erleben/empfinden/fühlen/denken mögen, auch und besonders wenn es sich um unstatthafte bis "verbotene", weil "Böses"/Abgründiges handelt, wie z.B. Neid, Rache, Eifersucht etc.. Kann/darf/soll/muss so sein.
Von diesem Topos sie nach erfolgtem PACING abholend, kann und will ich die Menschen einladen, gemeinsam in eine bestimmte Richtung zu gehen. Sehr wohl mag es hilfreich und Ziel führend sein, mit dem Thema Lösung zu beginnen und das Problem völlig außer Acht zu lassen. Ich versuche herauszufinden, wie die Personen, mit denen ich arbeite, strukturiert sind, was sie zur Zeit beschäftigt, welche Wertesysteme sie internalisiert haben usw. Dann überlege ich, wie ich mir dies zu nutze machen kann (Utilisation). Deine andere Frage zielt auf Lösungen ab. Lösungen sind genauso gewöhnlich und ungewöhnlich wie die Menschen, mit denen wir zu tun haben, wie die Konfliktszenarien, in denen sie sich befinden. Grundsätzlich vertraue ich in einem hohen Ausmaß meiner Intuition, bilde mir fortlaufend meine Hypothesen, überprüfe diese, mach in dieser Richtung weiter oder verwerfe sie wieder..., kurzum, ich bin mit meinen Medianten sehr prozessorientiert/klientenorientiert, weniger phasen/ablauf/normen/regelnorientiert unterwegs. Dabei begleitet, erfrischt, erfreut uns alle ein feiner Sinn für Humor, wo immer mir ein solcher möglich erscheint.
Den Großteil meines professionellen Repertoires verdanke ich spontan und intuitiv gesetzten Inter-ventionen, hervorgegangen aus weit mehr als tausend Mediationen innerhalb der vergangenen 13 Jahre. Selten wurden solche im Vorhinein ausgedacht und geplant. Vielmehr erlaube ich mir, intuitiv Impulsen nachzugehen. Wenn sich die Intervention dann bewährt, nehme ich sie in meinen professionellen Habitus auf und optimiere sie nach und nach in ähnlichen Situationen. So wird dieses "Tool" in der Praxis immer runder, hilfreicher und nützlicher. Ich "speichere mir die Intervention in Form einer "Geschichte" ab. Dadurch bleibt sie mir besser in Erinnerung, und zugleich setze ich sie als Geschichte immer wieder ein. Sie bekommt dann - je nach KlientInnen/Medianten/Situation ein passendes Kleid (tailoring) auf den "Leib" geschneidert. So kommt dasselbe Muster in verschiedenen Versionen/Gewändern je nach Anlass einher. So wie wir viele weise/erhellende/heilende Geschichten/Witze/Sprüche in verschiedensten Kulturen antreffen, im Kern dasselbe Muster abbildend, jedoch verschieden gewandet. Es ist also zunächst ein intuitiver Impuls, nicht eine logische Überlegung.
Wir Menschen sind ohnehin voller Ambivalenzen, handeln gerne irrational. Als vernunftbegabte Menschen müssten wir wissen, dass es unvernünftig ist, sich ausschließlich auf die Vernunft zu verlassen. "Der größte Fehler, den Rationalisten machen können, ist, das Irrationale zu unterschätzen" meinte Oskar Wilde. Als Koan zu diesem Thema empfehle ich dringend den Satz von Nietzsche: "Das Leben ist ein Fragment". Reflektiert wird erst im Nachhinein. Wobei mich weniger interessiert, "warum" eine Intervention wirkt - ohnehin zumeist bloß Rationalisierungen - sondern wie, wohin, wozu. Ich weiß also oft selbst wenig darüber, was - und schon gar nicht, warum ich in bestimmter Art und Weise agiere/interveniere. Nicht erst seit Hegel ist die Eule der Minerva ein Nachtvogel. Mein Repertoire an neuen, unkonventionellen, transgressiven, kreativen Interventionen jedoch wächst so erfreulicherweise an. Das auch besonders deshalb, weil ich mir erlaube, ja den KlientInnen vorankündige, wahrscheinlich jetzt voll daneben zu treffen. Das wiederum macht Spaß, verleiht Sicherheit und führt letztlich leicht in den bekannten Teufelskreis: Je leichter/besser/erfolgreicher dein Tun, desto mehr Spaß/Freude/Lust an der Sache, umso leichter/besser/erfolgreicher dein Tun, umso mehr Spaß...

Czollek: Das heißt, du überschreitest in jedem Fall den vorgegebenen Rahmen, der gemeinhin als wünschenswert gilt, den Rahmen also von "richtig und falsch". Als ich Dich das erste Mal auf einem Kongress in Wien bei deiner Arbeit erlebte, hatte ich die Vorstellung, als spieltest du mit der Methodik und in der Mediation wie auf einem Instrument.

Watzke: Ich bereite mich auf eine Mediation so ähnlich vor, wie ich mir vorstelle, dass es Jazzmusiker tun, um an einer Jamsession teilzunehmen, keinesfalls wie ein Streicher der Wiener Philharmoniker, der ein Haydn Menuett oder was immer vom Blatt spielen muss. Ich versuche mich in eine bestimmte Stimmung zu versetzen, alle Antennen nach außen und nach innen ausgefahren, feinsinnig im wahrsten Sinn des Wortes, hellhörig und offen allen Impulsen gegenüber. Es ist durchaus eine Art Trance, ein andocken/online-gehen an mein Unterbewusstsein und zugleich eine Schärfung der Beobachtung meines Gegenübers, des szenischen Erfassens, der Stimmung, die im Raum schwebt…minimale Hinweise, Augenzwinkern, Nasenrümpfen, lesen aus den Zeichen, die Körper aussenden, widerspiegeln, Klang der Stimme etc etc.. Es ist Tanz, Reigen, Bewegung mit und gegen den Fluss...

Czollek: Du bewegst dich also nicht im Rahmen einer Sinfonie in der Folge in der Partitur, sondern eher im Freestyle, im Freejazz.

Watzke: Um bei dem Bild zu bleiben; die Medianten erscheinen und legen los, nolens volens - wir wissen ja alle längst: wir können nicht nicht kommunizieren -, da bläst eine Tuba, ein anderer trommelt Maul, schlägt die Pauke, bläst ein picksüßes Hölzl, tingelt Triangel, geigt virtuos oder schlägt peripathetisch immer denselben Akkord. Ich hör erst einmal hin, welche Motive wie angespielt werden und lege auch schon zugleich los, gehe in meinen Instrumentenladen, nehme Akkordeon, Blockflöte, Viola, Trompete, was auch immer, nehme ein Thema auf, um es zu variieren, zu verwandeln, wiederholen, ins absurde auszuwalzen, maßlos zu übertreiben, zu ironisieren, karikieren, Rhythmus zu wechseln, aber auch Pausen - kaum zu überschätzen - zu setzen. Einfach wunderbar, wenn auf diese Weise eine Kakophonie zu einem melodischen Ohrenschmaus wird. Ich verordne nicht: Moment, hier ist jetzt nicht der Platz, um Tuba zu spielen, hier gelten diese und jene Regeln... Nein, nein. Vielmehr versuche ich, mich vorerst in ihre Melodie zu schwingen, in ihre Haut, in ihre Haltung, in ihren inneren Monolog zu schlüpfen. Ich spiegle und oft auch übertreibe ich mit Augenzwinkern ihr inneres Erleben, agiere ihr inneres Drama aus, "verkörpere" dieses. Dabei lasse ich sie zumeist über meine Werthaltungen im Ungewissen. Das ist mir sehr wichtig. Ich bin also unparteiisch, indem ich beiden Parteien viel mehr zustimme, als sie ertragen können, arbeite mit bewussten Unterstellungen, Übertreiben, Untertreiben, Fehlinterpretationen, Gemeinplätzen, Verallgemeinerungen, plakativen Schuldzuwei-sungen etc. etc. Und plötzlich werden Klienten auf diese Weise völlig unerwartet aus ihrer Melodei gerissen, mit unerwarteten Themen konfrontiert, enttäuscht, verwirrt, irritiert….Perspektivenwechsel… tralala… lässt grüßen. Man muss vieles ad absurdum führen, um den Erzeuger kennen zu lernen. Die nackte Vernunft trägt ihr Feigenblatt auf dem Herzen.
Überhaupt: Erwartungen enttäuschen, Irritation auszulösen und dies gewollt und gezielt, zählt für viele von uns zum Allerschwierigsten, ist jedoch ein Schlüssel zu oft wunderbar anmutenden Verwandlungen/Veränderungen/Musterwechsel. (Dialog zweier Kurzzeittherapeuten: Wie arbeitest du jetzt? - Ach ich frage meine Patienten, ob sie Schach spielen. Tun sie`s nicht, müssen sie es lernen, tun sie`s, verbiete ich es ihnen!)
Als Kinder lernen wir zuerst laufen und sprechen in der Schule, dann stillsitzen und den Mund halten.

Czollek: Du gibst also kein normiertes Gerüst vor?

Watzke: Ich gebe kein normiertes Gerüst vor. Meinen Arbeitsstil reflektierend, fiel mir auf, wie ver-schieden ich bisweilen methodisch vorgehe, von ganz strengen strukturierten Prozessen bis zum völligen Laissez-faire. Ich sehe meine eigentliche Aufgabe als Mediator weniger darin, Lösungen zu suchen, Probleme zu analysieren u.a.m., sondern Miterzeugen, immer Wiederherstellen und Aufrechterhalten einer tragfähigen, dialogtauglichen Kommunikationsbasis/Beziehung zwischen den Medianten/Konfliktparteien. Ist eine solche vorhanden, finden die Klienten, so sie das anstreben - mit hoher Wahrscheinlichkeit von sich aus eine Regelung/Lösung. Mein Hauptaugenmerk richtet sich darauf, wie die beiden Kontrahenten mit einander kommunizieren und weniger, was sie an Inhalten kommunizieren. Ich sehe mich als Experten der Metakommunikation.

Czollek: Unser Thema ist ja hier, darüber nachzudenken, ob es zwischen der Idee des Queer, nämlich der Aufhebung von fest angenommenen Grenzen und der Idee der Mediation mögliche Berührungspunkte, Schnittpunkte Übertragungsmöglichkeiten... gibt. Queer ist eine Konzeption, die auf Pluralismus abzielt, d.h. auf Vielfältigkeit gegen Einfältigkeit, auf Vielfältigkeiten von Lebensformen gegen Einfältigkeit -- ich meine hier nicht einfältig sein. Queer ist eine Konzeption, die gegen die Zweiwertigkeit Mann/Frau oder gegen die "klassische" Familie mehrere Lebensformen reflektiert und anerkennend einbezieht. Queer möchte über die Zweiwertigkeit hinausgehen. Meine Überlegung ist, ob es in der Mediation eine queere Entsprechung geben könnte: sowohl im Sinne dessen, wie mediiert wird, als auch, für wen Mediation möglich ist, für sie einen Raum bietet. Wenn man an die Vorstellung so mancher vom Fach denkt, die meinen, dass man kaum in der Mediation damit arbeiten kann, wenn Menschen z.B. sehr stark in unterschiedlichen religiösen Vorstellungen verhaftet sind, die einander widersprechen, kann Mediation dann noch in diesem Sinne funktionieren?

Watzke: Gemäß meiner Erfahrung ist Mediation immer dann überfordert oder das falsche Instrument, wenn die Beteiligten/Konfliktparteien bzw. eine(r) von diesen im Grunde keine Einigung oder Lösung anstreben. Vereinfacht ausgedrückt: Dort wo Menschen Krieg führen wollen, ist Mediation fehl am Platz. Das ist eh klar, trivial. Dennoch sagen an diesem Punkt viele - manche im (falschen) Brustton der Überzeugung: Friede!, meinen bzw. tun aber vielmehr Krieg. Dies ist Kern und Knackpunkt in vielen lang währenden, chronisch verhärteten, kalten und heißen Kriegen/Konflikten. Dabei bestimmen das Unbewusste, die Gefühle, mehr über unser Tun, als wir erahnen bzw. wahr haben möchten.
Unser Hirn benützen wir dann oft bloß, um uns rational zu erklären, warum wir so und nicht anders handeln (müssen).
Ein ehrwürdiger und angesehener Rechtanwalt fragte mich in einem Workshop einst - Herr Kollege, ist es denn wirklich nicht möglich, Mediation zu betreiben und dabei alles Gefühl gänzlich auszuklammern? - Meine Antwort löste in der Runde Heiterkeit aus sowie keine weiteren Fragen: Durchaus, zum Beispiel, wenn man einen heftigen Konflikt zwischen zwei Rechtsanwälten mediiert, die so etwas wie Gefühle gar nicht erst kennen.
An Hand einer konkreten Fallbearbeitung entwickelte ich einst ein spezielles Verfahren für hoch eskalierte, chronisch verhärtete Konflikte. (Es war ein hoch eskalierter Familien-Erbschafts-Nachbarschafts-Konflikt all-in-one) Der Kern besteht darin, sich als Mediator sehr präzise und intensiv - quasi prämediatorisch - damit auseinander zu setzen, ob die Kontrahenten tatsächlich Frieden wollen oder nicht doch viel lieber Krieg. Im nächsten Schritt dann - wenn sie eine Veränderung in Richtung Frieden anstreben - was wohl ihr eigener Beitrag/ein erster kleiner Schritt in Richtung Frieden sein könnte. Diese mögliche friedliche Zukunft nenne ich Zukunft 2, im Unterschied zu Zukunft 1, der Fortführung der kriegerischen Auseinandersetzung. Eine exorbitant schwierige Aufgabe. Ich verharre während des ganzen Prozesses in der Krieg/Frieden Metapher, grob verallgemeinernd, ohne auf die konkreten Schlachten/Scharmützel/Ursachen/Kriegsschauplätze einzugehen. Dabei spiele ich liebend gern die Rolle des Advocatus Diaboli im provokativ-therapeutischen Sinn. Ich beziehe also Posten/Position und argumentiere für die Fortführung des Krieges, gegen den Frieden. Dies um meinen Medianten diese Rolle zu stehlen. Ich verbünde mich mit dem Teufel in ihnen, um so den Engel in ihnen hervorkommen zu lassen. Frei nach dem Motto: Ich kann dich lieben, wenn es mir erlaubt ist, dich zu hassen. Und ob ich ihnen das erlaube! Nicht ich bin der Anwalt des Friedens, sondern die Klienten/innen sollen diese Rolle/Position einnehmen. Wenn erst mal Ihr Engel ihren Teufel vom Frieden überzeugt hat, ist der Rest oft erstaunlich einfach.

Czollek: Das bedeutet, dass du nicht mit einer Vorannahme an einen Konflikt herantrittst, er sei nicht bearbeitbar, sondern dass du diese Frage auf einer anderen Ebene ansiedelst, nämlich auf der Ebene von Krieg und Frieden.

Watzke: Ja, genau.

Czollek: Queer intendiert, Polarisierungen und eindeutige Identitäten aufzuheben, wie wir es eben schon angesprochen haben, etwa dass heterosexueller Mann/heterosexuelle Frau die einzige Lebensform, die einzige Norm sei. In Bezug darauf habe ich zwei Fragen: Gibt es in der Mediation ein richtiges Verfahren, oder gibt es verschiedene mögliche Verfahren, die gleichberechtigt nebeneinander bestehen können? In den Ausbildungen zur Mediation geht es ja oft um das geregelte Verfahren. Die reine Lehre wird gelernt und gelehrt und da kann es durchaus dazu kommen, dass verschiedene Umgänge mit Mediation wie verschiedenes Spielen auf der Klaviatur auch in Konkurrenz zueinander stehen. Das ist die eine Frage. Die andere Frage ist, inwieweit der Perspektivenwechsel, der in der Mediation passiert, nämlich das eine Sache, ein Konflikt aus verschiedenen Perspektiven gesehen werden (können), einerseits gegen Polarisierungen gerichtet sein kann und inwieweit dieser Perspektivenwechsel andererseits mit einem queeren Konzept verknüpft werden kann? Denn durch den Perspektivenwechsel, wie er in der Mediation angewandt werden kann, können die Parteien ja erfahren, dass jemand diese Sicht und jemand anderer eine andere Sichtweise hat und dass dies nicht gegen mich persönlich gerichtet ist, sondern es eben verschiedene Sichtweisen gibt, die unterschiedlichen Werten, Denkweisen und Vorstellungen entspringen.

Watzke: Natürlich führen viele Wege nach Rom und so stellt sich für mich keineswegs die Frage, ob es richtige und/oder falsche Mediationskonzepte gibt. Ich würde sagen, es gibt hilfreiches methodisches Werkzeug, neutrale Interventionen, die weder nützen noch schaden und solche, die kontraproduktiv sind. Klar ist jede Intervention immer im Kontext mit der Situation, den Betroffenen/Medianten zu betrachten. Auch dabei orientiere ich mich an Mustern, die mehr intuitiv und ganzheitlich/bildhaft erfasst werden. Hierzu der wunderbare Satz von A. Einstein: "Es kommt nicht darauf an, diese Welt zu verstehen, sondern sich in ihr zurecht zu finden" (Gott - oder wer auch immer - sei gepriesen, dass Zweites nicht Erstes voraussetzt!).
Ungewöhnliche Situationen/Konflikte/Probleme erfordern oft ungewöhnliche/unkonventionelle Strategien/Interventionen/Methoden/Techniken. Mediatoren/BeraterInnen/TherapeutInnen u.a. sollten meiner Meinung nach sehr gut darin geschult werden, sich unangepasst/unkonventionell/irrational zu verhalten. Häufig hindert die Angst davor daran, das methodische Instrumentarium zu erweitern, zu experimentieren. Ich orientiere mich dabei an Leitgedanken aus der Provokativen Therapie (Frank Farelly): "Erlaubt ist alles, was nicht nachweislich den KlientInnen schadet", und "Je unvorhersehbarer das Verhalten des Therapeuten, desto wahrscheinlicher eine Veränderung bei den Klienten". Dies gilt für mich auch in der Mediation. Wir leben in einer tendenziell normopathischen Gesellschaft. Die Normopathie ist die Krankheit/Störung, sich zwanghaft an vorgegebene Regeln zu halten. Ein Blick in die rezente Literatur zur Mediation scheint dies zu bestätigen. Ich denke, die Kul-turdifferenz zwischen Amerika und Europa spielt dabei eine wichtige Rolle. Das kanonisierte, dogmatisch geregelte 1. 2. 3. So-und-nicht-anders scheint uns Europäern, erst recht in Mittel-Süd-Ost-Europa wenig handlich bis fremdartig. Sigmund Freud sagte in einem Interview, eben von seiner ersten Amerika-Reise nach Wien zurückgekehrt: "Die Psychoanalyse ist in Amerika erstaunlich erfolgreich, allerdings fürchte ich, sie wird dort nicht wirklich verstanden." Oder nehmen wir Karl Valentin: "Die Zukunft war früher auch einmal besser" - erklären sie das einmal in Amerika.
Den ubiquitären Hang zur Normopathie halte ich für ein Grundübel und für wenig hilfreich. Ich versuche dem entgegen zu steuern. In diesem Zusammenhang sind mir einige bescheidene Erfolge beschieden. Ich bin lebendes Beispiel, dass man Mediation in völlig anderer Art und Weise betreiben kann und zwar sehr erfolgreich.
Ich erinnere mich an einen Milton-Erickson-Kongress, wo ich Eugene T. Gendlin begegnet bin. Er musste/konnte in seiner Jugend in der Nazizeit aus Wien nach Amerika emigrieren. Gendlin hat das Focusing... entwickelt. Das ist eine spezielle, therapeutische Methode, bei der die KlientInnen in einen Trance ähnlichen Zustand geführt werden, um mit sich selbst in einen speziellen Dialog zu treten. Als er versuchte, seine Methode zu vermitteln, hat er seinen Vortrag in Hamburg vor versammeltem Hörsaal so begonnen: "Ich versuche euch jetzt Focusing... zu erklären. Das funktioniert in sechs Schritten und ich werde euch jetzt die sechs Schritte von Focusing in ihrer Abfolge erklären. Eines möchte ich aber gleich hinzufügen, wenn ihr es genauso macht, wie ich das jetzt sage, dann macht ihr es auch schon falsch". Genial fand ich das. In einem Satz das Wesentliche vermittelt. Unvergesslich/unforgettable, weil er in dieser kurzen Sequenz deutlich gemacht hat, Focusing hat eine innere Struktur aber stures Befolgen eines Musters/eines schematischen Ablaufs, ohne auf das Gegenüber den Menschen einzugehen, führt am Ziel vorbei.
Dazu fällt mir ein Beispiel aus meiner Praxis ein: Ein Ehepaar, die Frau war rasend/krankhaft eifer-süchtig. Quasi permanent peinigte sie ihren Mann mit allerlei Verdächtigungen, absurden Kontrollen, Wutattacken mit Gewaltausbrüchen etc., etc. Insbesondere warf sie Ihrem Mann ständig vor, er habe allerlei Geheimnisse vor ihr. Beide liebten sich - es war spürbar - waren jedoch vollends verzweifelt. Das Zusammenleben war zur Hölle geworden. Beim Jogging folgte sie ihm mit dem Fahrrad, verdächtigte ihn, schon beim nächsten Baum wieder mit irgendeiner Frau etwas anzufangen. Immer wieder sprach sie von Geheimnissen ihres Mannes. Kurz eine wahrhaft heftige/bizarre komplementäre Eskalationsdynamik. Schrecklich, unerträglich, eine Form von Besessenheit. In der Mediation folgte ich spontan einem Impuls und intervenierte folgendermaßen. Ich nahm mir nicht die Zeit, meiner Co-Mediatorin mein Vorgehen näher zu erläutern. Ich unterbrach den Prozess, erklärte, eine verrückte/sonderbar anmutende Idee zu haben und wandte mich an die Beiden etwa wie folgt: "Darf ich unterbrechen, ich möchte sie etwas fragen." Und zu ihm: "Ich möchte mit ihrer Frau allein in ein anderes Zimmer gehen, erlauben sie dies ?" - "Ja, das erlaube ich ihnen, ja selbstverständlich." OK! Dann senkte ich meine Stimme in geheimnisumwitterte, bedeutungsschwangere paralinguistische Gefilde: "Ich will nämlich ein Geheimnis mit ihrer Frau teilen, ein Geheimnis, das sie nie erfahren sollen. Darf ich das?" Er willigte ein. Ich verschwand mit ihr zum "Tete-a-tete". Ihr rang ihr ein "heiliges Ver-sprechen" ab, unter allen Umständen bis zum nächsten Termin dieses Geheimnis zu wahren, nie und nimmer ihren Mann einzuweihen. Ich verknüpfte diese Aufgabe mit der Aussicht, wie durch ein Wunder bei Befolgung der streng geheimen Vorgaben ihre Ehe retten zu können. Schließlich erhielt sie in einem quasi okkulten Brimborium (die Dame war in hohem Ausmaß abergläubisch) ihren geheimen Auftrag: Sie haben gute Chancen ihren Mann zu behalten, wenn sie ihn loslassen kann. Dieses Loslassen allerdings darf nie ausgesprochen werden, sie müssen diese Botschaft in Handeln/Verhalten übersetzen, quasi operationalisieren, ihm dies zeigen, durch ihr Verhalten, durch ihr Tun!.
Meine Kollegin war mit dem Ehemann zurückgeblieben. Ohne Absprache vereinbarte sie mit ihm, seine Frau nicht zu bedrängen, das Geheimnis offen zu legen, aber in Stillen darüber nachzudenken, seine Frau aufmerksam zu beobachten, um das Geheimnis zu erraten. Wir vereinbarten, uns in vier Wochen wieder zu treffen und dann weiter darüber zu reden. In der Nachbesprechung meinte meine Kollegin - "vorerst war ich etwas irritiert, du schnappst die Klientin und lässt mich da mit dem Mann sitzen. Etwas irritiert dachte ich, ich weiß zwar nicht, was du jetzt vorhast, ich mache einfach mit dem Mann weiter". Rein intuitiv hat sie jedoch erstaunlich komplementär und stimmig interveniert.
Als sie nach vier Wochen zum nächsten Termin wieder kamen, hatte sich das Eifersuchtsdrama ge-mildert und das Leiden daran nach der Einschätzung Beider um die Hälfte reduziert. Sie beschlossen, sich nicht zu trennen, sondern erlangten durch die erlebte Veränderung die Zuversicht, gemeinsam ihr Problem Schritt für Schritt lösen zu können. Beim ersten Termin brach es verzweifelt aus dem geplagten Ehemann hervor - "ich ziehe heute noch aus, ich ertrage das nicht mehr". Inzwischen hatten sie einen Urlaub verbracht, in welchem sie ihrem Mann - für ihre Verhältnisse - wahrlich erstaunliche "Freiheiten" gewährte. In der Reflexion wurde mir erst klar, dass meine Intervention genau darin bestand, mit ihr genau das zu tun, was sie ihrem Mann immer vorhielt: nämlich Geheimnisse zu haben. Im Moment der intuitiv hochkommenden Idee war diese Überlegung keineswegs Teil meiner Gedanken, ich folgte dem Impuls und handelte danach.
Ähnliche Beispiele gibt es viele. Klar folge ich nicht blind jedem Impuls, jeder Idee, aber doch häufig. Daraus entstand/erwuchs Schritt für Schritt ein reichhaltiges Repertoire eines mir heute unverzichtbar erscheinenden methodischen Instrumentariums.

Czollek: Worauf führst du es in dieser Geschichte zurück, dass sich die Eifersucht verringert hat?

Watzke: Das Gespräch mit der Frau hat ca. eine halbe Stunde gedauert. Sie war sehr verzweifelt und hat erschüttert geweint. Sie sagte, sie liebe ihren Mann über alles und inniglich, und sie wolle ihn nicht verlieren. Auch mir standen Tränen der Rührung und des Mitgefühls in den Augen ob dieser Verzweiflung und der "fehlgeleiteten Liebe". Sodann verordnete ich ihr eine auf die Seele geschneiderte Kur: Ich wüsste ein Geheimnis, welches ihr ermöglichen könnte, ihre Liebe zu retten und ihren Mann zu behalten/wieder zu gewinnen. Der Vorspann/Kontext, den Zauber anzukündigen, nahm geraume Zeit in Anspruch. Etwa wie wenn man jemanden eine Pille gegen irgendein Symptom oder eine Krankheit verabreicht, dabei jedoch eine halbe Stunde damit zubringt, der Patientin zu erklären, welches Ritual mit der Einnahme der Pille verbunden ist, um die ersehnte Heilung zu bewirken. Ich machte aus dem Geheimnis ein großes Geheimnis, quasi ein Geheimnis zweiter Ordnung. Bis sie dann schon ganz ganz neugierig, geradezu begierig darauf war, die Kur verordnet zu bekommen. OK, der Boden war aufbereitet, um meine Intervention nun an die Frau zu bringen. Sie muss ihrem Mann zeigen, nicht darüber sprechen... Wenn sie diesen Satz mit Worten sagt, dann falle der ganze Zauber in sich zusammen. (Dieses "Du kannst deinen Mann behalten, wenn du ihn loslassen kannst"). Und das versuchte sie dann auch unter großen Mühen. Etwa einen Monat darauf hat sich ihre Lage spürbar gebessert. Der Ehemann, im Stillen seine Frau beobachtend, erriet tatsächlich, dass seine Frau ihm obige Botschaft durch ihr Verhalten zeigen/übermitteln wollte.

Czollek: Deine Geschichte ist eine sehr berührende, und ich habe ja schon einige Geschichten von dir gehört. Der Hintergrund deiner Arbeit, was dich letztlich auch dazu bringt, aus der Normopathie hinaus zu gehen, scheint mir so etwas wie Liebe zum Menschen zu sein. Dieses Herausführen aus der Normopathie ist auch das, was die Theoretikerinnen und Theoretiker, die über Queer geschrieben haben, im Grunde tun, nämlich darüber nachzudenken, wie Menschen aus diesem unglaublich beengenden, verletzenden und mitunter tödlichen Korsett dieser Normopathie heraus schreiten können.

Watzke: Ja, ich schreibe üblicherweise bei allen meinen Workshops einen Satz ganz groß auf das Flipchart oder auf die Tafel und sag, das ist oberstes, methodisches Gebot, und das ist die moralische Maxime des Augustinus, die lautet:
"Dilige et quod vis fac!", d.h. Liebe und tue, was du willst.
Augustinus hat damit gemeint, was immer du mit Menschen tust, wenn du es aus Liebe heraus tust, dann kann es nicht schädlich sein. Und das ist auch mein oberstes Gebot, denn wenn ein Mensch Menschen nicht liebt, dann sollte er überhaupt keine Mediation betreiben, keine Therapie und keine Supervision, sondern etwas anderes.

Czollek: Es klang ja schon raus, aber ich möchte dich noch konkreter fragen, welche Rolle in deiner Arbeit, das performative Moment spielt? Queer wird auch als theatralische Inszenierung verstanden, wobei mit dieser theatralischen Inszenierung eine gegebene Ordnung in Frage gestellt und durch einander gebracht wird. Gleichzeitig wird Performativität als eine diskursive Herstellung von sex und gender aufgefasst, in dem durch die Wiederholung dessen, was sex ist und was gender, was Mann ist, was Frau, Geschlecht kulturell konstruiert wird. Heute kann ich mir überlegen, ob ich als Mann auf die Straße gehe oder als Frau oder als Cyborg, wie auch immer. Ich bin in einem bestimmten Rahmen geduldet. Im Showgeschäft, auf der Bühne ist das nochmals anders, da kann ich etwas ausdrücken, was im alltäglichen Leben nicht immer ausdrückbar ist. Meine Frage ist, ob du das diskursive Herstellen diese Art von performativer Arbeit, performativer Vorstellung auch auf deine Arbeit übertragen kannst und ob du mit solchen Methoden arbeitest?

Watzke: Ja, wenn ich das Performative richtig verstanden habe, dann will ich das einmal mit Aufführung/Inszenierung assoziieren und mit Theater in Verbindung bringen. Das Theater ist ja eine Metapher, die so alt ist wie die Menschheit, "die ganze Welt ist ein Theater und wer es weiß, ist klug", meinte - wenn ich nicht irre - Hofmannsthal. Eine wichtige Funktion des Theaters ist es auch, eine Distanz herzustellen zum eigenem Leben, um auf das eigene Leben blicken zu können, und alle Dramen, die im Burgtheater und in Hollywood dargeboten werden, ermöglichen bzw. bieten dem Publikum an, Bezüge zum eigenen Leben herzustellen und dadurch Distanz zu gelebtem Leben und zu seinen dramatischen, tragischen, komischen Elementen. Dieses Moment versuche ich in meiner Arbeit tagtäglich einzuführen, und ich habe durch das "GEMISCHTE DOPPEL", also in der Zusammenarbeit mit einer Kollegin und durch das REFLEKTING TEAM eine Bühne eingeführt, wo die Klienten zum Publikum werden. Die Co Mediatores sitzen sozusagen auf der Bühne und tragen dort einen Diskurs aus. Und zwar auf den Brettern der Welt des Möglichen! Das Reflekting Team wird angekündigt als freies Assoziieren/Phantasieren/unzensuriertes lautes Denken/Empfinden/Fühlen etc., keinesfalls als Expertendiagnose bezogen auf die Realität. Ich teile den Klienten mit, wir erlauben uns zu phantasieren und laut zu denken, was immer uns durch Herz und Hirn geht... eine Art Umkehrung der Freud`schen Kur: Die Klienten hören zu und die Mediatores lassen ihr Unbewusstes ausufern.
Diese Methode macht es uns möglich, einen Raum zu öffnen, Gedanken zu öffnen, Möglichkeiten zu öffnen, weil im Raum des Möglichen diese Distanz und das Performative theatralisch da ist, wo die Klienten sich wirklich zurücklehnen können. Denn jetzt spielt sich auf der Bühne sozusagen ein Dialog oder ein Diskurs ab, der angekündigter Weise nicht die Realität ist und auch nicht sein will, sondern nur Möglichkeiten ausstreut. Das ist das eine Element und das andere ist, dass ich seit vielen Jahren begonnen habe, sehr auf Körpersprache zu achten und mich auch selbst, so gut ich kann, darin geschult habe. Mittlerweile landauf, landab, wenn ich Workshops in Mediation gebe, weise ich immer wieder auf die Wichtigkeit der Körpersprache in der Kommunikation hin, denn ich finde, dass wir diese körpersprachliche Komponente in unglaublich hohem Ausmaß unterschätzen. Zu 90 % konzentrieren wir uns auf den Inhalt der Worte, auf die Semantik, d.h. auf die Kommunikation vom Hirn zu Hirn. Das ist aber nur ein kleiner Teil der Kommunikation. Der wesentliche Teil spielt sich von Herz zu Herz und von Bauch zu Bauch und vom Unbewussten zum Unbewussten ab.

Czollek: Kann ich das so verstehen, dass du mit dem Theatralischen in der Mediation einen Raum, eine Bühne herstellt, wo du Menschen Wege vermittelst, die sie in ihrem Herzen kennen, aber aus irgendwelchen normativen Gründen, zumeist nicht sehen können? Du öffnest auf diese Weise Türen, die ihnen verschlossen waren, durch die Menschen durchgehen können?

Watzke: Alles Mögliche passiert in diesen theatralischen Räumen, aber im Grunde genommen versuche ich einfach, die Sichtweisen zu verändern und den Raum des Möglichen zu öffnen. Eine zum Teil sehr wirkvolle und immer auch sehr komische und heitere und dadurch auch heilsame Strategie ist, einfach das Gegenteil darzustellen, einfach ein Muster eines Konfliktes umzukehren und den agierenden Personen einen Rollentausch vorzuspielen, eine Standardfigur in Komödien, wenn plötzlich der Stille laut wird und der Laute still, und der Autoritäre wird plötzlich zahm, und der Zahme wird autoritär. Als Brauch gibt es diese Umkehrung, allerdings leider sehr verkümmert, in den Faschingsbräuchen, wo scheinbar Männer zu Frauen, Frauen zu Männern werden, wo sex und Gender durcheinander gewirbelt wird. Noch im 15. und 16. Jahrhundert war es z.B. in Frankreich üblich, am geheiligten Altar völlig umgekehrte Messen zu zelebrieren. Es gibt viele Rituale und Geschichten, wo an einem Tag Bettler Könige werden, es gibt Faschingsprinzen und Prinzessinnen. Das sind Relikte einstiger Traditionen, Herrschaftsverhältnisse, Jung - Alt, Frau - Mann, Reich - Arm etc. umzukehren, eine Transgression, einen Rollentausch vorzunehmen. Ethnologen kennen und erforschten in vielen Kulturen die Figur des "Trickster", bei Levy Strauß u. v. a. nachzulesen. Diese Person spielt mit Rollen, auch um Normen deutlich zu machen, in dem sie sie umkehren und völlig verkehrt anwenden.
Bei vielen Stämmen in Nordamerika gibt es sie, wie von vielen Ethnologen beschrieben. Es gibt immer ein Mitglied in einer Gemeinschaft, das macht alles verkehrt, es überschreitet eben in bestimmter Form Normen und Regeln und gelangt dadurch in speziellen Situationen in Kontakt mit dem Überirdischen und Überweltlichen.
Ich denke, dass auch die Rolle des Hofnarren so eine Figur war. Heute gibt es in dieser Tradition vielleicht noch das Cabarett. In der Mediation versuche ich methodisch diese Funktion des Tricksters, des Verwandlers, des Umkehrers zu erfüllen, ganz verschiedene Sichtweisen auf eine Sache, auf ein Problem, auf Menschen darzulegen, umzukehren, bewusst falsch zu interpretieren, zu unterstellen, etc. Es geht mir aber nicht darum, eine professionelle Haltung einzunehmen - es gibt therapeutische und mediatorische Haltungen -, sondern mir geht es darum, der Trickster zu sein, der Narr; in dem Moment, wo ich mit diesen Menschen zusammen bin, ihr Hofnarr zu sein und das spielerisch zu tun, aus Berufung und aus Überzeugung. Das scheint paradox, ist es wahrscheinlich auch, aber auf dieser Bühne spiele ich in gewissen Szenen den Trickster, den Clown, den Narren. Ich bin es mit ganzem Herzen, und ich liebe die Menschen und tu das aus Liebe zu ihnen.
Dieses Performative und diese Trickster- und Clowngeschichte verwende ich nur, wenn ich sichergestellt habe, dass ich diese Menschen wirklich mag sowie sie mich. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um nicht in Zynismus abzugleiten, wo andere das Gefühl bekommen, jemand macht sich über sie lustig. Im Gegenteil: Die Klienten lachen mit mir über sich, über ein Symptom, über einen Konflikt etc. Humor schafft so erst einmal eine notwendige und heilsame Distanz. Indem ich auf dieser Bühne vor den Klienten diese Rolle abgebe, bin ich das mit Herz und Haut und Haar, und das ist es auch, was den Funken überspringen lässt.

Czollek: Wenn ich dem nachgehe, was ich jetzt von dir gehört haben und auch wie ich dich in Workshops erlebt habe, wie du Dinge vermittelst, wie du arbeitest und das in Bezug zu Queer setze, dann sehe ich hier einen wichtigen Unterschied. Queer verschiebt zwar Grenzen, löst sie aber, meine ich, nicht wirklich auf. Es wird nicht wirklich eine Tür geöffnet in ein weites, freies Feld, wo weiter gespielt, gedacht werden kann, wo es erlaubt ist, anderes zu denken als in vorgegebenen Grenzen. Es wird also nicht wirklich über die Grenzen hinaus gedacht z.B. in bezug auf Kultur, kulturelle Verortungen, Identitäten, Weltbildern. Ich meine aber, dass ein vorsichtiges Denken über feststehende Meinungen dazu, die ja letztlich die Identitäten bestimmen, Grenzen öffnen kann. Kulturelle und "ethnische" Verortungen oder Identitäten müssen und sollen so immer mitgedacht werden. Du bist eben der Türke oder du bist die Österreicherin. Und du darfst eigentlich theoretisch, gedanklich, spielerisch da nicht raus. Du darfst zwar aus vielem raus, aber hier liegt die Grenze. So wie du deine Arbeit beschreibst, habe ich den Eindruck, dass du auch diese Grenze überschreitest, dass du die Türen nicht nur ein bisschen öffnest, sondern sie für jene, die raus wollen, sehr weit öffnest. Die Menschen, die zu dir kommen, können entscheiden, wo sie hingehen möchten, ob sie überhaupt irgendwo hingehen möchten, oder ob sie da bleiben wollen, wo sie sind. Doch wenn sie sich entschließen, mit dir auf diese Bühne zu gehen und zu spielen, dann öffnest du in deiner Arbeit Räume und Grenzen - ohne nur eine Verschiebung anzubieten.

Watzke: Zwei Dinge fallen mir dazu ein. Das eine ist eine Metapher, ein Bild, das ich immer wieder verwende, für mich selbst in meinem eigenem Leben oder auch Klienten, Freunden und Mitmenschen gegenüber: Wir alle leben in einem Schloss, wie z.B. Sanssouci oder so etwas ähnliches, aber wir benützen nur Zimmer und Küche und wir machen die Türen nicht auf. Und darum sitzen wir und klagen, wie schrecklich klein die Welt ist und wie schrecklich eng, aber wir stehen nicht auf und öffnen die Türen, und wir schauen uns dieses Schloss nicht an, dieses wunderbare Schloss, was es da alles gibt. Der zweite Gedanke ist, ich kann mich natürlich heftig täuschen, aber irgendwie beschleicht mich ein Verdacht, dass unsere normopathische Gesellschaft diejenigen, die damit brechen wollen - und Queer scheint eine Strömung davon zu sein, dass diese Abweichung und die Abweichenden von der Normopathie auch nicht wegkommen. Wir sind alle in ihr aufgewachsen, und deshalb könnte es sein, dass diejenigen, die von der Norm abweichen, den Sanctus für die Abweichung von denjenigen wünschen bzw. wollen, die die Normen aufrecht erhalten. Und deshalb halte ich solche Theorien wiederum für eine absolute Verhinderung.

Czollek: Du meinst, jene die von der Norm Abweichen, wollen dafür gemocht werden?

Watzke: Ja, sie wollen gemocht werden dafür, und sie wollen - um in der Schlossmetapher zu bleiben - aus dem Zimmer und aus der Küche heraus, begnügen sich aber damit, die ganze Zeit davon zu reden, dass sie da raus wollen und sagen "ihr hindert mich daran, wann erlaubt ihr mir endlich, dass ich da raus kann". Aber sie tun es nicht, sondern sie reden nur davon. Ich denke, man muss es einfach tun.
Ich erinnere mich an eine Geschichte von einem Paar, das das Problem hatte, schon getrennt zu sein, aber noch nicht geschieden, und einer der beiden hat gesagt, "Scheidung gibt es einfach nicht, Trennung gibt es auch nicht. Du kannst machen, was du willst, aber so etwas existiert in meinem Leben und für mich einfach nicht". Der andere Teil wollte, dass sein Partner ihm den Sanctus zur Trennung, zur Scheidung gibt. Aber das Gegenüber blieb dabei: "Das gibt es nicht, Schluss, basta". Das ist sehr lange so hin und her gegangen, und dann sind sie zu uns in eine Paartherapie gekommen. Alles, was ich getan habe, ist, dem Mann zu vermitteln - in dem Fall war es ein Mann, aber das ist ja egal - wenn du den Sanctus von deiner (Ex)Partnerin bekommst willst, wird sich nichts ändern. Du musst aufstehen, deinen Koffer packen und gehen. Aus.
Eine andere Sache, die mir in diesem Kontext von Abweichung, von Norm und sex und gender einfällt, ist meine eigene Geschichte. Da haben Abweichungen immer eine große Rolle gespielt, und diese Geschichte ist eine einigermaßen bewegte auch deshalb, weil ich schon von Kindheit an liebend gerne mit dem Brechen und Überschreiten von Normen gespielt habe und es auch jetzt noch tue. Aber was ich von mir selber kenne ist, dass es eine Koketterie von Abweichenden gibt. Ich fühle mich voll und ganz dazugehörig. Einerseits ist es uns sehr wichtig, einfach klar und deutlich zu signalisieren: "Seht her, wir sind anders, wir sind nicht so, wie ihr, kleinlich, humorlos...," wie auch immer, "seht her, wir machen das ganz anders." Das ist toll und gut und verleiht einfach Selbstwertgefühl. Andererseits zieht es natürlich auch Aggressionen auf sich, und das ist immer bedrohlich. Für den Normopathen ist es immer bedrohlich, wenn jemand sagt, "ich mach's immer anders, ich lebe anders, ich kleide mich anders, ich liebe anders". Aber gleichzeitig gibt es eine Wehleidigkeit von denjenigen, die sich eben anders verhalten, und sich dann wundern, dass die Nomopathen heftig reagieren. Da würde ich mir wünschen, aber das ist ja kein Weihnachtsinterview, dass es diese Wehleidigkeit nicht gäbe. Ich bin mit allen einverstanden, die experimentell andere Lebensformen, Liebensformen in welchen Kontexten auch immer, erproben, die Vorstellungen von Menschsein erweitern. Das kommt, denke ich, uns allen zu gute. Im Nachhinein begreifen das sogar die Normopathen. Es ist gut, dass es im vorigen Jahrhundert Frauenbewegung, Arbeiterbewegung, Schwulenbewegung, Lesbenbewegung gegeben hat, dass es an der Front Menschen gegeben hat, die für etwas gekämpft haben und dafür Prügel bezogen haben. Aber ich wünschte mir, dass es weniger Wehleidigkeit bei jenen gibt, die von der Norm abweichen.

Czollek: Nun es sind ja nicht alle wehleidig, da wirst du mir zustimmen, von den Verallgemeinerung wollen wir uns jetzt nicht einholen lassen.

Watzke: Ich habe ja auch gesagt, dass es ein Verdacht ist, der mich beschleicht.

Czollek: Dass man es einfach tun muss - wäre ein wunderbarer Schluss. Aber ich möchte noch einmal an die Idee des Buches anknüpfen, ob es Praxisfelder gibt, ob es auch andere Denkbarkeiten gibt, die aus Polarisierungen herausführen, jenseits von sex und gender Diskussionen, über die schon so viel geschrieben worden ist. Dass du Grenzen im Rahmen des streng geregelten Verfahrens der Mediation vehement überschreitest, hast du sehr anschaulich beantwortet. Was du beschreibst, sind ja im Grunde genommen Übungen im Denken und im Tun, es sind Tabubrüche, die den Tabubruch nicht als mögliches (neues) Identitäres beschreiben, sondern danach trachten, Türen und Grenzen so zu öffnen, dass es nicht nur eine Verschiebung ist. Die Frage ist ja, in welchen Räumen kann das geschehen, gibt es andere Vorstellungen als diese eindeutigen Kategorien.

Watzke: Ja, es gibt andere Vorstellungen. Ein Ahn- und Urvater, in dessen Tradition ich mich in aller Bescheidenheit gerne sehe, ist Diogenes. Er ist einer der ersten Figuren in der abendländischen Tradition, der aktionistisch vorging und durch seine Philosophie lebte und im Tun auch vermittelte, nicht von einem Lehrstuhl herab. Eine überlieferte Szene liebe ich ganz besonders: Ein damals hoch gerühmter Shootingstar, ein Philosoph, hielt einst einen Gastvortrag. Alle Intellektuellen strömten in Scharen zu dem Ereignis. Der große Meister stand am Pult, begann seine Rede. Nach einer halben Stunde betritt Diogenes den Raum, der übervoll mit Zuhörern war. Mit einem Fisch in der Hand. Er hebt die Hand mit dem Fisch, stellt sich mitten in die versammelte Zuhörerschaft. Schweigend mit dem Fisch in der erhobenen Hand. Nach und nach geht ein Raunen durch die Menge, immer mehr Publikum dreht sich um und schaut erwartungsvoll zu Diogenes. Letztlich starrt alles auf Diogenes und seinen Fisch. Das Gemurmel wird stiller und stiller, die Aufmerksamkeit wendet sich gänzlich vom Redner ab. Dieser steht vor dem Pult, sieht jede Menge Köpfe sich von ihm ab und Diogenes´ hoch erhobenem Fisch zuwenden. Bis letztlich ausnahmslos alle dorthin starren. Der Redner verstummt irritiert.
In die Stille hinein spricht nun Diogenes: "Ein toter Fisch bringt den berühmten Philosophen zum Schweigen".

Czollek: Ich danke dir für dieses Gespräch.

Gudrun Perko/Leah Carola Czollek (Hg.): Lust am Denken. Queeres jenseits kultureller Verortungen, Köln 2004

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