Der Systemische Installateur

Wolfgang Fürnkranz

Letztlich hatte ich einen Albtraum.

Meine Waschmaschine war kaputt. Wusch nicht, schleuderte nicht, tat gar nichts und ich hatte kein frisches Gewand. Panik kam auf: Am nächsten Tag hatte ich einen Kundentermin, oder noch schlimmer: ein ARGE-Workshop oder, Supergau: ARGE-Startworkshop, und da will man ja einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Ein Installateur musste her, und das schnell. Jetzt kenne ich leider keine Installateure, rief also einen Freund an – dass der als ein wenig exzentrisch gilt hätte mir eigentlich Warnung sein sollen – und er gab mir sofort einen Tipp: ja er kenne einen, der sei total gut. Edgar Scheiniger, systemischer Installateur. Den rief ich an.

Scheininger?

Ja, guten Tag, Fürnkranz hier. Spreche ich mit dem Installateur Scheininger?

Ja. Mit wem spreche ich? Ich habe Ihren Namen nicht verstanden.

Fürnkranz. Meine Waschmaschine ist kaputt.

Soso. Wie sind Sie denn auf mich gekommen?

Ein Freund von mir, Herr Josef Breinhuber, hat Sie mir empfohlen.

Oje, dann kann ich Ihnen leider nicht helfen – da besteht zu große Nähe zwischen Ihnen und einem anderen Kunden.

Ich fühlte erste Panikattacken aufsteigen. Nein, nein, log ich, der Herr Breinhuber und ich sind gar nicht so eng befreundet – eher weitläufige Bekannte.

Okayyyyy, meinte Herr Scheiniger, offenbar nicht ganz überzeugt. ---- Haben Sie schon Erfahrung mit systemischer Installation?

Na ja, sagte ich, das eine oder andere Mal habe ich bereits einen Installateur gebraucht.

Waren das Systemiker?, wollte Herr Scheiniger wissen.

Äh, weiß ich nicht so genau.

Also, meinte Herr Scheiniger, ich schlage Ihnen vor, wir treffen uns zu einem Erstgespräch. Das ist kostenlos und wird ca. eine Stunde dauern. Da kann ich Ihnen dann die Prinzipien systemischer Installation erläutern. Soll ich zu Ihnen kommen und oder besuchen Sie mich in meiner Praxis?
Praxis? – mir wäre lieber, Sie kommen zu mir, da steht ja auch die Waschmaschine, sagte ich ahnungslos.

Die brauchen wir vorerst noch nicht, entgegnete Herr Scheininger. Im Erstgespräch geht es einmal darum, dass wir einander kennenlernen, ich Ihnen etwas über systemische Installation erzähle und dass wir Erfolgskriterien für die Reparatur festlegen.

Etwas verwirrt vereinbarte ich einen Termin mit Herrn Scheininger, auf seinen Vorschlag hin nun doch in seiner Praxis, und beschloss, die Wäsche für den morgigen Startworkhop in den Waschsalon zu tragen.
Bereits zwei Wochen später kam es zu einem Erstgespräch. Der Waschsalon hatte zwischenzeitlich gut an mir verdient, die Studenten, alten Damen und Sandler dort grüßten mich bereits jedes Mal freundlich.
Nun, hat sich seit unserem Telefonat etwas geändert, was für uns wichtig wäre?, begann Herr Scheininger das Gespräch.

Da sich Waschmaschinen üblicherweise nicht selbst reparieren, verneinte ich.

Seht gut, sagte Herr Scheininger, und ich wusste eigentlich nicht, was daran gut sein sollte.
In weiterer Folge stellte er mir seltsame Fragen über meine bisherigen Waschmaschinen, meine Wäsche-Wasch-Gewohnheiten, wie lange ich diese aktuelle Waschmaschine bereits besäße und ob ich seitdem irgendwelche Veränderungen an ihr festgestellt hätte. Mich beschlichen erste leise Zweifel, ob Herr Scheininger der richtige Mann für mein Problem wäre, als er mich plötzlich mit der Frage konfrontierte:

Woran würden Sie denn merken, dass der Reparaturprozess erfolgreich abgeschlossen ist?

Resigniert antwortete ich: „Wenn die Wäsche wieder sauber ist“.

---- Und woran merken Sie dass sie sauber ist?

HÄÄÄ?

„Also auf einer Skala von 0 – 10, wie sauber müsste sie dann sein?“

OIDAAA!!!!!

Schließlich einigten wir uns darauf, dass der Prozess dann erfolgreich abgeschlossen sein würde (auf diese Formulierung hatte Herr Scheininger bestanden), wenn danach die Waschmaschine wäscht und die Wäsche auf einer Skala von 0 – 10 einen Sauberkeitsgrad von 8 erreicht hat, den ich daran erkenne, dass Eis-, Saft- und Bierflecken zur Gänze, Bratensaft zu 75% Prozent aus der Wäsche entfernt sein werden, während Rotwein- und Heidelbeerflecken kein Erfolgskriterium darstellen. Herr Scheininger schrieb dies alles auf einer Flip-Chart nieder.

PUHHHH.

Können Sie nun mit der Reparatur beginnen, fragte ich kleinlaut? Fahren wir nun zu mir?

Herr Scheininger sah mich an, als hätte ich jetzt etwas ganz Blödes gefragt und sofort begann ich, mich zu genieren. Heute noch nicht, meinte er. Dazu müssen wir dann, falls wir uns für eine Kooperation entscheiden, einen eigenen Termin vereinbaren. Heute will ich Ihnen noch mein Verständnis von systemischer Installation näherbringen.

Okay, antwortete ich – mir war mittlerweile alles egal und ich vertraute darauf, dass Herr Scheininger wüsste, was er tut. Er wirkte, trotz allem, irgendwie souverän und eigentlich gar nicht unsympatisch, obwohl ich die Gesamtsituation doch als etwas spooky empfand.

Die systemische Installation, begann er, geht davon aus, dass Sie selbst der Experte für die Lösung sind.

- Und das bedeutet ….?

Das bedeutet, dass ich Sie bei der Lösung unterstützen, Ihnen aber selbst keine Lösungen anbieten werde.

Und was, bitte, ist dann Ihr Job?

Nun, ich kann z.B. Hypothesen aufstellen, warum die Waschmaschine nicht mehr funktioniert.
Was heißt hier Hypothesen?! Es muss doch klar zu eruieren sein, warum die Waschmaschine nicht mehr funktioniert!!!!!

----- es gibt keine Realität, meinte Herr Scheininger. Wir können nur Annahmen treffen.
Und wenn die Annahmen sich als falsch erweisen?

--- es gibt auch kein Falsch. Es gibt nur passende und weniger passende Annahmen.

Aaaha. Okay, also was tun Sie, wenn sich die Annahmen als weniger passend erweisen?

Wir, entgegnete Herr Scheininger, wir tun dann – nicht ich alleine. Also dann müssen wir eine noch passendere Strategie erarbeiten. Wir nennen das auch systemische Schleife und eigentlich ist das ganz normal. Diesen Umweg muss ich Ihnen als systemischer Installateur zumuten. Dafür ist das Ergebnis dann nachhaltiger und Sie werden sich mit der Lösung besser identifizieren können. Nicht wie bei diesen „Experten-Installateuren“ (Herr Scheininger zog verächtlich die Mundwinkel nach unten), die glauben, immer die richtige Lösung zu wissen.

Übrigens: Woran würden Sie denn erkennen, dass der Reparaturprozess misslungen ist?
Diesmal gab sich Herr Scheininger gottseidank mit der Antwort „wenn die Maschine dann immer noch nicht funktioniert“ zufrieden – offenbar machte ich in der Gestaltung meiner Rolle als systemischer Installationsprozessberatungskunde Fortschritte.

Ich kann Ihnen anbieten, meinte Herr Scheininger, dass wir einen optionalen Termin vereinbaren, den ich Ihnen so lange freihalte, bis Sie mir Bescheid geben, ob ein Arbeitsbündnis zwischen uns zustande kommen soll. Bis wann können Sie denn diesbezüglich zu einer Entscheidung kommen?

Das ist meine Chance, dachte ich. Ich vereinbarte mit Herrn Scheininger, dass ich ihm bis in längstens einer Woche Rückmeldung geben würde und hoffte insgeheim, bis dahin einen herkömmlichen Installateur aufgetrieben zu haben, der mir ganz konservativ meine Waschmaschine repariert, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich danach nicht zu 100% mit dem Ergebnis identifizieren könnte.
Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch, wie alle von Ihnen, die schon einmal versucht haben, rasch einen Installateurstermin zu bekommen, vermutlich bestätigen können.

Voll schlechten Gewissens, dass ich ihn mit einem Fachexperten hatte hintergehen wollen, sagte ich Herrn Scheininger also zu und gleich in der ersten Sitzung, die natürlich nicht in meiner Waschküche sondern in seiner Praxis und 3 Wochen nach dem Erstgespräch stattfand (aber ich verstand mittlerweile – ganz ehrlich - die Vorteile dieses Vorgehens) machten wir einen Riesenschritt vorwärts. Ich lernte, meine eigenen Anteile am Nicht-Funktionieren der Waschmaschine zu verstehen, oder wie Herr Scheininger es ausdrückte, die Waschmaschine aus der Täterrolle und mich aus der Opferrolle zu entlassen.

Auch die Herstellerfirma, zuvor von mir gedanklich als Bande von unfähigen Vollidioten beschimpft, konnte ich dank der allparteilichen Haltung von Herrn Scheininger bald positiv konnotieren und wertschätzend betrachten.

Wissen Sie, sagte Herr Scheininger an einer Stelle der Sitzung, eine Waschmaschine ist nach Heinz von Förster keine triviale Maschine.

Ist sie nicht?

Nein, ist sie nicht. Sie liefert immer einen Output.

Aber sie wäscht ja nicht.

Auch das ist ein Output – sie müssen ihn nur akzeptieren.

Ich verstand. Was war ich bisher für ein naiver Realist gewesen, der geglaubt hatte, Waschmaschinen hätten in meinem Sinn zu funktionieren, bloß weil ich auf den Einschaltknopf drückte. Auch Haushaltsgeräte haben ein Recht auf Nicht-Trivialität!

In einem darauffolgenden fiktiven Gespräch mit meiner Waschmaschine, die mir gegenüber auf einem leeren Stuhl Platz genommen hatte, entwickelte ich ein tiefes Verständnis für sie und ihre Bedürfnisse und ja, ich konnte nachvollziehen, dass Nicht-Waschen für sie im gegebenen Kontext eine sinnvolle Lösung darstellte und nur eine Kontextänderung mir wieder zu sauberer Wäsche verhelfen würde.
Nur ein einziges Mal in dieser Sitzung verlief der Prozess etwas unrund und zwar als Herr Scheininger sagte:

 „Stellen Sie sich vor, Sie gehen heute nach Hause und Sie tun das was Sie immer tun und danach gehen Sie schlafen und während Sie schlafen passiert ein Wunder – einfach so. Und wenn Sie in der Früh aufwachen, funktioniert die Waschmaschine wieder. Aber weil Sie ja geschlafen haben, haben Sie das Wunder nicht mitbekommen. Woran merken Sie es?“

Gar nicht, sagte ich.

Woran liegt das?

Dass ich die Waschmaschine nicht einschalte, wenn ich ja gar nicht weiß, dass sie wieder funktioniert.
Mit dieser Antwort war Herr Scheininger jetzt gar nicht zufrieden und zum ersten und einzigen Mal glaubte ich, so etwas wie Ungeduld bei ihm zu erkennen ---- und natürlich fragte ich mich sofort, was ich dazu beigetragen haben könnte.

Aber im Großen und Ganzen kamen wir ausgesprochen gut voran und während wir uns von Sitzung zu Sitzung vorarbeiteten, war ich als Nebenprodukt, wie ich es zwischenzeitlich auszudrücken gelernt hatte, mittlerweile als Systemmitglied der Waschsalon-Community voll implementiert. Ich wurde zu Stundentenfesten eingeladen, ging während der Waschgänge mit Pensionisten Tauben füttern und trank mit Obdachlosen Rotwein aus Dopplerflaschen. Herr Scheininger bezeichnete dies als mittelbare Auswirkungen in die unmittelbare Systemumwelt und da er damit sehr zufrieden schien, war ich es auch.

Daheim hatte ich mittlerweile meine Waschmaschine in ihre Einzelteile zerlegt und hatte, bestärkt durch Herrn Scheiningers positive Konnotationen, das beruhigende Gefühl, auf einem guten, weil lösungsorientierten Weg zu sein. Als ich einmal nicht wusste, wie ich den Antriebsriemen vom Schwungrad lösen sollte, half mir Herr Scheininger einen Riesenschritt weiter, indem er mir die Frage stellte: was würde Ihnen in dieser Situation ein traditioneller Installateur raten?

Ich begriff das Ziel dieser Frage sofort und googelte schließlich daheim (dies hatte mir Herr Scheininger als Hausaugabe aufgegeben) solange, bis ich ein You-Tube-Video auftrieb, in dem ein Installateur Schritt für Schritt erklärte, wie man das Schwungrad so auf der Antriebswelle verschieben kann, dass sich der Antriebsriemen praktisch von selbst löst.

Ein weiterer Höhepunkt war die sogenannte Visionsarbeit. Durch einen simplen Platzwechsel konnte ich spüren, wie gut es sich anfühlen würde, wenn die Waschmaschine wieder funktionieren würde. Ich wurde zwar ein wenig sentimental, weil mir dabei auch bewusst wurde, dass ich dann womöglich meine neuen Freunde aus dem Waschsalon nicht mehr so oft sehen würde, aber wir bearbeiteten dieses Thema als Nebenziel gleich in der darauffolgenden Sitzung.

Nach 5 Sitzungen und 3 Monaten später, war ich schließlich in Lage, das Gerät selbst zu reparieren. Die 2000.- Euro zahlte ich Herrn Scheininger gerne, denn schließlich wusch die Maschine jetzt wieder und das war ja die Hauptsache. Schleudern konnte sie zwar immer noch nicht, aber das war laut Herrn Scheininger ja auch nicht Gegenstand der Zielvereinbarung gewesen. Er meinte, wir könnten uns dieses Themas in einem Follow-Up-Prozess näher annehmen.

An dieser Stelle wachte ich schweißgebadet auf und ersparte mir so weitere 2000 Euro. Sofort sprang ich aus dem Bett, lief zur Waschmaschine und stellte erleichtert fest, dass sie einwandfrei funktionierte. Für den Fall, dass sie aber tatsächlich einmal kaputt werden sollte, nahm ich mir fest vor, die Suche nach einem geeigneten Installateur nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Dr. Wolfang Fürnkranz, pädagogischer Leiter der Supervisionsausbildung an der ARGE Bildungsmanagement, anlässlich des Jubiläumsfests – 25 Jahre Supervisionsausbildung in der ARGE Bildungsmanagement, 18.02.2016.

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