Bernhard Plé - Glücksforschung aus transkultureller Perspektive.

Zeitschrift für Beratungs- und Managementwissenschaften
Ausgabe 2014/01
ISSN 2312–5853

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Bernhard Plé**

Glücksforschung aus transkultureller Perspektive.*
Besprechung eines Vortrags von Dr.in Elisabeth Reif.

Zusammenfassung

Es wird kritisch herausgestellt, welche Annahmen über Glück in der Glücksforschung leitend sind, die sowohl in begrifflicher als auch in methodischer Hinsicht Lücken erkennen lassen. Glück, so die zentrale Aussage, bleibt in der Forschung unterbestimmt, solange dieses allein mit positiven Gefühlen gleichgesetzt wird. Es bleibt eine hermeneutische Aufgabe, zum einen die subjektiven Deutungsmuster zu identifizieren, in denen die eigenen positiven Gefühle mit Glück identifiziert werden und zum anderen die interpersonalen und umweltrelationalen Prozesse zu ermitteln, in denen das Glücksgefühl generiert wird.

Abstract

This contribution provides critical analysis of those assumptions on happiness that are prevalent in happiness research. These assumptions are lacking both in terminological and in methodological regards. This article states that happiness will remain under-defined in research as long as it is associated with positive feelings alone. The hermeneutic task remains on the one hand to identify the subjective patterns of definition that identify an individual's positive feelings as happiness and on the other hand to establish which interpersonal and context-related processes play a part in the generation of the feeling of happiness.

Keywords Bedeutungsdimensionen von Glück in unterschiedlichen Bereichen, Individualismus als Forschungsansatz, unterschiedliche, auch kulturell bedingte Selbstdeutungsmuster von Glück, Glücksforschung aus transkultureller Perspektive

**Korrespondenz: Bernhard.PleⒶfh-joanneum.at

*Diskussion eines Vortrags mit dem gleichen Titel, gehalten im Wissenschaftssalon der ARGE Bildungsmanagement von Dr.in Elisabeth Reif am 21. Oktober 2013

Die psychologische Glücksforschung ist ebenso wenig neu wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit Glück in anderen empirischen Disziplinen, welche dessen Stellenwert in Wirtschaft und Gesellschaft, Politik und Geschichte, Medizin und Neurobiologie sowie in Religionen und Rechtsystemen bestimmen.1 In ihrem Vortrag über die Glücksforschung aus transkultureller Perspektive stellt die Psychologin Elisabeth Reif in kritischer Absicht Forschungsansätze vor, welche in der Psychologie, Ökonomie und Soziologie die verschiedenen Voraussetzungen für Glück und dessen Bedeutungsdimensionen zum Gegenstand haben, dabei jedoch kaum darüber reflektieren, ob und inwiefern ihre eigenen Verständnisse von Glück, ihre eigenen Erhebungsmethoden oder auch ihre Ergebnisse erst vor einem bestimmten kulturellen Hintergrund plausibel sind. Die Ergebnisse der durch diese Kritik angeregten Diskussionen möchte ich im Folgenden darstellen. Wie der Vortrag heraus stellen und die Diskussionen im Publikum bestätigen, haben die meisten ökonomischen, psychologischen und soziologischen Forschungsansätze als Dreh- und Angelpunkt den Individualismus. Leitend ist hier die Annahme, dass es zum Glück folgender Voraussetzungen bedarf: Die Ausbildung eines individuellen Selbst, sowie die Fähigkeit zur Wahl zwischen Optionen und die Gelegenheit zu dieser Wahl („opportunity“) genießen eine hohe Wertschätzung. Dieser Annahme folgen nicht nur klassische Studien in den Wirtschaftswissenschaften, wenn sie das Streben nach Glück als wirtschaftliche Triebkraft konzipieren, leitend ist diese Annahme auch in neueren Studien. So versucht Richard Easterlin („The Happiness Income Paradox Revisited“, 2011) einen kausalen Zusammenhang von Glück und steigendem Einkommen in Ländern mit verschiedenem Bruttoinlandsprodukt zu spezifizieren. Von der gleichen Annahme geleitet, zielt die Studie von Herbert Laszlo („Glück und Wirtschaft“, 2008) darauf ab, einen Einflussfaktor für Glück darin aufzuzeigen, dass die durch Mangelzustände erzeugten Bedürfnisse durch erfolgreiches, an der Obergrenze der Belastbarkeit vollzogenes Handeln befriedigt werden können.

1 Einen breiten, allgemeinverständlichen Überblick über die Beschäftigung mit Glück in den genannten Disziplinen gibt Georg Schildhammer: Glück. Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte, Wien, facultas.wuv, 2009.
Empfehlenswerte Überblicke über die Glücksforschung  in einzelnen Disziplinen geben - für die Wirtschaft Richard A. Easterlin: Happiness in Economics, Cheltenham, Elgar, 2002; - für die Politik Alfred Bellebaum, Hans Braun, Elke Groß: Staat und Glück, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1998; - für die Erziehung Frank Taschner: Glück als Ziel der Erziehung, Würzburg, Könighausen & Neumann, 2002; - für die Gesundheit und Neurobiologie Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Stuttgart u. New York, Thieme, 2012.

In anderer Weise am Individualismus orientiert – so wird kritisch herausgestellt – ist die psychologische Glücksforschung, die seit Mitte der 1990er Jahre ihren bevorzugten Ort in der Positiven Psychologie hat. Ihr Begründer, der US-amerikanische Psychologe Martin E. P. Seligman („Positive Psychologie, 2000), sah es als eine der wesentlichen Aufgaben der Psychologie an, Anleitungen zu einem erfüllten Leben zu geben. Im Mittelpunkt stehen daher erfolgsrelevante Persönlichkeitsmerkmale wie positive Attribuierungsstile, Selbstwirksamkeitserwartung, internale Kontrollüberzeugung, positive Emotionen u.a.m., um sie darauf hin zu untersuchen, wie sie sich auf das – unkritisch mit Glück gleichgesetzte – Wohlbefinden oder positive Selbstbild auswirken können. Dieser Intention folgen u.a. die Studien von Barbara Frederickson („Positivity“, 2011) und Sonja Lyubomirsky („The How of Happiness“, 2008).

In der Diskussion stellt sich auch heraus, dass Unschärfen in der Unterscheidung zwischen Glück und Wohlbefinden oder Glück und Lebenszufriedenheit nicht nur in der psychologischen, sondern auch in der politologischen und soziologischen Forschung eine differentia specifica vermissen lassen. Prominenteste Beispiele für die fehlende Trennschärfe sind die Studien von Ronald Inglehart (z.B. „World Values Surveys und Environmental Values Surveys“, 2000) und Ruut Veenhofen (z.B.„World Data Base of Happiness“, 1994). Die hierfür verwendeten Messinstrumente und die damit gewonnenen Datensätze, wie sie u.a. in der World Data Base of Happiness, im World Values Survey und im Gallup World Poll erfasst sind, lassen aus den Blickwinkeln der verschiedenen Beratungsformate Zweifel an der Konstruktvalidität aufkommen, insofern als das, was als Glück im Leben gemessen wird, mittels Items zu positiven und negativen Bewertungen des eignen Lebens oder auch einzelner Lebensbereiche erhoben wird. In derartigen Messungen bleibt Glück unterbestimmt, weil zu wenig Rücksicht auf die Voraussetzungen in menschlichen Wertungen genommen wird. Denn Wertungen setzen außer positiven und negativen Gefühlen auch situationsübergreifende Gedanken, Einsicht in Normen, Überzeugungen, Akzeptanz oder Ablehnung von Werten aber auch Irrtümer und Illusionen voraus. Eine weitere Unbestimmtheit in den Messungen von Glück auf der Basis von „self-reports“ ist, dass zu wenig Raum der in vielen Kulturen bekannten Möglichkeit gegeben wird, wonach Glück auch durch seine dauerhafte Erfüllung zerstört werde.

Neben der Unterbestimmtheit des subjektiven Glücks, wie es die Social Surveys erheben, wird in der Diskussion der hierfür verwendeten Items und Indices eine weitere Forschungslücke deutlich. Es stellt sich heraus, dass die in psychologischen Forschungen verwendeten Messinstrumente für Glück – meist unkritisch gleichgesetzt mit Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit oder positiven Gefühlen – zu wenig die Prozesse berücksichtigen, die gegeben sein müssen, damit ein Leben, ein Lebensbereich oder eine Tätigkeit als glücklich bewertet werden kann. In diesem Sinn werden Kriterien dafür vermisst, dass das menschliche Leben aus der Perspektive von Menschen bestimmte Prozesse und durch diese bedingte Eigenschaften beinhalten muss, damit es von den Handelnden als gut oder gelungen bezeichnet werden kann. Es geht um Kriterien, so wird festgestellt, die Prozesse identifizieren, in denen es möglich ist, dass die elementaren Funktionsfähigkeiten von Menschen wie Lusterfahrung, Schmerzvermeidung, Bindungsfähigkeiten, spielerische, kognitive, sinnliche, ästhetische Fähigkeiten verwirklicht werden können. Hierzu bieten sich zum einen Anleihen aus der Sozialphilosophie und politischen Philosophie an, insbesondere bei Martha Nussbaum („Menschliches Tun und soziale Gerechtigkeit“, 1993) und John Rawls („Eine Theorie der Gerechtigkeit“, 2006). Und das insofern, als beide in Anlehnung an die Aristotelische Bestimmung des Glücks davon ausgehen, dass aufgrund anthropologischer Fakten elementare, sowohl in der Tätigkeit selbst als auch im gesellschaftlichen Umfeld bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, damit das Leben aus der Perspektive der Handelnden als glücklich bewertet werden kann. Zum anderen lassen sich solche Kriterien auch in der Flow-Theorie des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi finden („Flow. Das Geheimnis des Glücks“, 2008). Ihr zufolge muss nämlich die richtige Spannung zwischen Unter- und Überforderung im Hinblick auf das Erreichen selbstgesetzter Ziele gegeben sein, damit es zur Verschmelzung von Handelndem und Handlung, zum Aufgehen im Hier und Jetzt kommt und aus diesem als Selbstversunkenheit erfahrenen „Flow“ schließlich ein Glücksgefühl entstehen kann.

Ein weiteres Thema in der Diskussion der psychologischen Glücksforschung bildet der Ethnozentrismus. Die hierzu geübte Kritik stellt fest, dass zu wenig berücksichtigt wird, wie sehr die subjektive Wahrnehmung des eigenen Glücks je nach Land und dessen Kulturen variieren kann und das selbst dann, wenn ähnliche sozioökonomische Verhältnisse wie Wohlstandsniveau, Versorgungssicherheit in den Grundbedarfen, Erwerbsquoten u.a.m. gegeben sind. Das gefühlte Glück kann aber auch von situationsübergreifenden Deutungsmustern mitbestimmt sein, welche positive Gefühle und damit einhergehende Handlungen auf religiöse, spirituelle oder auch politische Werte rückkoppeln. So lautet z.B. eine bis heute geltende Gründungsidee der liberalen Menschen- und Bürgerrechte, aus denen die demokratischen Verfassungen in den USA und in Westeuropa hervorgingen, dass Glück in Eigenregie des einzelnen Bürgers verwirklicht werden könne. Hier ist, so wird in der Diskussion kritisch herausgestellt, einer der Ursprünge der bis heute am Individualismus orientierten Glücksforschung.

Daher gilt es, selbstreflexiv herauszustellen, welchen Anteil der eigene kulturelle Hintergrund sowohl bei der Entwicklung von Messinstrumenten als auch bei der Definition dessen hat, was Glück in den verschiedenen Deutungsmustern einer gegebenen Gesellschaft ausmacht. Im Hinblick auf dieses Erfordernis wird somit die transkulturelle Perspektive gewürdigt. Erläutert wird sie im Schlussteil des Vortrags von Elisabeth Reif, wo sie einen Ausblick auf Wege aus dem Ethnozentrismus gibt. Die transkulturelle Perspektive wird auch in der Positiven Psychologie wie z.B. bei Ed Diener („Culture and Well-Being“, 2009) und in der „Goal Theory“ von Shigehiro Oishi (The Psychological Wealth of Nations“, 2012) eingenommen. Was sie erschließen kann, ist eine weitere Voraussetzung für subjektives Glück: Sie berücksichtigt, inwiefern die Persönlichkeiten, die es erleben können, wie auch die objektiven Merkmale, an denen es identifiziert werden kann, zum jeweiligen kulturellen Hintergrund passen müssen. Der jeweilige kulturelle Hintergrund muss dabei jedoch nicht, wie die Diskussion ergibt, mit Länder- oder Staatsgrenzen deckungsgleich sein.

Die Diskussion zeigt, wie aus der Glücksforschung auch Impulse und Orientierungspunkte gewonnen werden können, die für den Gegenstandsbereich und die Methoden der Beratungswissenschaften relevant sind. Gelebtes Glück im Einzelfall zu identifizieren, bleibt eine hermeneutische Aufgabe, welche die Deutungsmuster für die eigenen positiven Gefühle ebenso zu berücksichtigen hat wie die interpersonalen, intrapersonalen und umweltrelationalen Prozesse, in denen das Glücksgefühl generiert wird. Je nach Selbstdeutungsmuster können positive Gefühle als „glücklich sein“, oder „noch nicht glücklich sein“ identifiziert werden, wenn Glück z.B. in der Maximierung positiver Gefühle oder hingegen in der Balance zwischen negativen und positiven Gefühlen identifiziert wird oder wenn es im Durchschreiten schwieriger, überwiegend negative Gefühle auslösender Bedingungen auf einen Wert hin, der dem eigenen Dasein Sinn gibt, wahrgenommen wird. Und je nach Selbstdeutungsmuster ist auch kritisch die Wirksamkeit jener Techniken zu bestimmen, die mit „Glücksaktivitäten“ oder „Instrumenten und Methoden“ zum Glück gleichgesetzt werden (z.B. Sonja Lyubomirsky, „Glücklich Sein“, 2008;  Susanne Schwalb & Barbara Imgrund, Glück! Wie es ist und wie Sie es finden, 2006).

Literatur

Bellebaum, A., Braun, H. & Groß, E. (1998). Staat und Glück, Opladen: Westdeutscher Verlag.

Csikszentmihalyi, M. (2008). Flow. Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart: Klett-Cotta.

Diener, E. (2009). Culture and Well-Being. Heidelberg, London, New York: Springer.

Easterlin, R.A. (2002). Happiness in Economics, Cheltenham: Elgar.

Easterlin, R.A. et al. (2011). The Happiness Income Paradox Revisited. Proceedings of the American Academy of Sciences, 107 (52), 22463-22468.

Esch, T. (2012). Die Neurobiologie des Glücks, Stuttgart u. New York: Thieme.

Fredrickson, B. (2011). Positivity: Groundbreaking Research Reveals How to Embrace the Hidden Strength of Positive Emotions, Overcome Negativity, and Thrifve. New York: Crown Publisher.

Inglehart, R. (2000). World Values Surveys and European Values Surveys, 1981-84, 1999-93 and 1995-1997. Ann Arbor, MI: Institute for Social Research, ICPSR.

Lyubomirsky, S. (2008a). The How of Happiness. A Scientific Approach to Getting the Life You Want. New York: The Penguin Press.

Lyubomirsky, S. (2008b). Glücklich Sein. Warum Sie es in der Hand haben zufrieden zu leben. Frankfurt, New York: Campus Verlag.

Laszlo, H. (2008). Glück und Wirtschaft.

Nussbaum, M. (1993). Menschliches Tun und soziale Gerechtigkeit. Zur Verteidigung des aristotelischen Essentialismus. In M. Brumlik & H. Brunkhorst (Hrsg.) Gemeinschaft und Gerechtigkeit (S. 323-362), Frankfurt: Rowohlt.

Oishi, S. (2012). The Psychological Wealth of Nations. Do Happy People make a Happy Society? Chichester: Wiley-Blackwell.

Rawls, J. (2006). Eine Theorie der Gerechtigkeit. Berlin: Akademie Verlag.

Schwalb, S. & Imgrund, B. (2006). Wie es ist und wie sie es finden. Band 142 von Haufe Taschen Guide. Freiburg: Haufe Verlag.

Seligman, M.E.P. (2000). Positive Psychology. In J.E. Gillham (Ed.), The science of optimism & hope. Resaerch Essays in honour of Martin E.P. Seligman. Philadelphia: Templeton Foundation Press.

Taschner, F. (2002). Glück als Ziel der Erziehung. Würzburg: Könighausen & Neumann.

Veenhofen, R. (1994). World Data Base of Happiness. Happiness in Nations. Subjective ap-preciation of life in 56 nations of 1946-1992. Rotterdam: Erasmus University Rotterdam.

 

Diesen Artikel zitieren als:
Plé, B. (2014). Glücksforschung aus transkultureller Perspektive. Besprechung eines Vortrags von Dr.in Elisabeth Reif. ARGE Forschungsjournal, 2014/01.

 

Autor

FH-Prof. apl. Prof. DDr. Bernhard Plé; Professor für Soziologie an der FH JOANNEUM, Graz und Universität Bayreuth; Mitglied der Wissenschaftlichen Leitung des Universitätsinstituts ARGE Bildungsmanagement
E-Mail: Bernhard.PleⒶfh-joanneum.at

 

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